Eine bemalte Spanschachtel des 14. Jahrhunderts

28.06.2012 von Rotschopf in Geschichte, Handwerk, Kunst, Realien

Redet man von Schachteln als historischer Begriff spricht man in der Regel von Spanschachteln.
Eine Spanschachtel – wobei diese Bezeichnung erst recht spät aufgekommen ist – besteht aus vier Teilen: Der Deckel, einem Boden und zwei Seitenteilen, den sogenannten Zargen bzw. im österreichischen auch Reif. Die Zargen werden genäht/gebunden/geheftet.
Hierbei wurden zunächst mit einem Beil oder Ziehmesser erst Bohlen hergestellt, und dann mit einem Hobel oder Spalteisen davon recht dünne „Späne“ gespalten. Fichten- und Tannenholz wurde als leicht spaltbares Material bevorzugt verwendet, daneben verarbeitete man auch das Holz der Eberesche, Birke, Espe, Faulbaum und Weide.
Zur weiteren Verarbeitung wurden die gewässerten Späne auf eine Form gebogen, Eine weitere Biegetechnik stellt die Verwendung des Spannkamms dar.  Der Span wurde durch ein aus zwei zusammengebundenen Holzstäben bestehendes Gerät in einer Linksdrehung geschoben, wodurch seine Biegsamkeit und Flexibilität zunahm. Die beiden Zargenenden wurden mit Streifen, meist aus Weidenholz, in einer Schlingtechnik, wie sie ab dem Frühmittelalter sehr beliebter war, vernäht. Heute wird für diesen Vorgang in der Regel auch in für die Spanschachtelherstellung traditionsreichen Gegenden Leim verwendet.

Die ältesten Spanschachteln stammen aus der Älteren Bronzezeit aus Mitterberg bei Bischofshofen in den Alpen und aus Dänemark. Auch aus Haithabu haben sich einzelne Böden und Wandungen erhalten. Verziert waren sie in Ritztechnik, wie bis ins letzte Jahrhundert hinein in der Region üblich war.
Aus der Mitte des 9. Jh. stammt eine mit Kerbschnitten verzierte Schachtel im Kontext des Osebergfunds.
Für das Ende des 13. oder Anfang des 14. Jahrhunderts herum ist die kleine, ovale, unverzierte Schachtel aus dem Fußboden des Nonnenchors des Kloster Wienhauses bei Celle zu erwähnen. Diese Schachtel ist in Material und Fertigung bereits in jener Technik gefertigt, wie sie in Mitteuropa bis heute gebräuchlich geblieben ist. In die 1. H. des 14. Jh. ist die bemalte Spanschachtel des Augustinerchorfrauenstift Steterburg zu datieren.
Weitere fünf Funde sind aus dem späten 13. Jh. aus Freiburg bekannt (Kat. Nr. 1.374-378). Erhalten sind eine Schachtel mit rundem Boden sowie eine ovale Schachtel, der Boden oder Deckel einer weiteren ovalen sowie einer runden Schachtel. Die Freiburger Spanschachteln sind in ihrer Herstellung vergleichsweise einfachst hergestellt, was auch eine sehr geringe Lebensdauer vermuten lässt.
Obwohl es zahlreiche Bildquellen von Spanschachteln besonders aus dem 15. Jh. gibt, sind Funde aus dem Spätmittelalter aufgrund der Zerbrechlichkeit der Schachteln spärlich bis kaum existent und lassen somit wenig Rückschlüsse auf die Verbreitung dieser Schachteln zu.

Spanschachteln wurden im Mittelalter bzw. der Neuzeit meist nur in bestimmten Regionen hergestellt, in welchen ein stark spezialisiertes Gewerbe hierfür angesiedelt war, und von dort aus in andere Landschaften exportiert.
Bereits seit dem Spätmittelalter gibt es Belege für Zunftbildungen der Schachtelmacher. Schachtelmacher standen dem Siebmacher nahe, da gewisse Arbeitsvorgänge zur Fertigung der Siebe von den Schachtelmachern übernommen wurden.
Zuerst bezeugt sind Schachtelmacher in Berchtesgaden, noch heute berühmt für seine traditionellen Spanschachteln. Aus dem Thüringer Wald beispielsweise wurden die Schachteln nach ganz Nord- und Westdeutschland, den Niederlanden und Dänemark exportiert.
In Elmlohe (Niedersachsen) lassen Funde von Spanschachteln die Möglichkeit auf eine entsprechende Holzbearbeitung für einen, anhand der Keramik datierten, Zeitspanne zwischen 12. und 14. Jh., zu.
Frühe Produktionen sind in der Schweiz sowie in Österreich für Viechtau (Altmünster, Oberösterreich) ab dem Spätmittelalter nachweisbar.
Spanschachteln wurden zumeist zur Aufbewahrung trockener Stoffe, wie z.B. Salz, Gewürzen, Kräutern, Arzneien, sowie als Schatullen für Löffeln, Nadeln, kleinen Textilien, Schriftstücken etc. genützt.

Der rekonstruierte Fund des Augustinerchorfrauenstifts Steterburg

Bei unserer Spanschachtelrekonstruktion handelt es sich um ein Werk von Hannes Hirsch. Das Original aus dem Augustinerchorfrauenstift Steterburg ist auf die 1. H. des 14. Jh. datiert, und damit die älteste bemalte, Spanschachtel.  Wie der Fund ist auch die Rekonstruktion aus Tannenholz hergestellt. Höhe 11 cm, Länge 29 cm, Breite 20 cm.

Die gesamte Schachtel ist nach dem Fundvorbild mit einer polychromen Bemalung auf dünnem Kreidengrund verziert. Auf dem Deckel ist das letzte Abendmahl dargestellt. Mittig sitzt Christus, an seiner Brust ruht Johannes. Sechs weitere Brüder sind ins Gespräch vertieft. Der Text entlang des Randes und überhalb der oberen Tischkante entstammt dem Matthäus-Evangelium (26,26)
Die Deckelwandung sowie Schachtelwand ist mit einem floralen Rankenmotiv verziert. Dazwischen finden sich sechs Vogelmedaillons mit umlaufenden mittelhochdeutschen Inschriften von belehrend-moralisierenden Sprüchen.
Vermutlich diente die Schachtel für die Aufbewahrung liturgischer Geräte oder Textilien, sind üblicherweise liturgische Bemalungen auf Spanschachteln generell eher selten. Betrachtet man andere Spanschachteln so findet man besonders aus späteren Zeiten bevorzugt florale Ornamente bzw. Muster sowie Darstellungen aus dem Arbeits- und Familienalltag bzw. romantischen Zusammenkünften.
Heute befindet sich das Original im der Mittelalterabteilung des Herzog Anton Ulrichs-Musums in Braunschweig.

Rekonstruktion der ältesten bemalten Spanschachtel (14. Jh.), Augustinerchorfrauenstift Steterburg. Arbeit ausgeführt von Hannes Hirsch.

Rekonstruktion der ältesten bemalten Spanschachtel (14. Jh.), Augustinerchorfrauenstift Steterburg.
Arbeit ausgeführt von Hannes Hirsch.

Quellen:

  • Mechthild Wiswe: Spanschachteln. Geschichte-Herstellung-Bemalung. Keyser Verlag München 1986
  • Kurt Dröge, Lothar Pretzell: Bemalte Spanschachteln. Callwey Verlag München 1986
  • Matthias Baumhauer: Archäologische Studie zu ausgewählten Aspekten der mittelalterlichen Handwerkstopographie im deutschsprachigen Raum. Bestandsaufnahme der Handwerksbefunde vom 6.-14. Jahrhundert und vergleichende Analyse. Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades Doktor der Philosophie der Eberhard Karls Universität Tübingen
  • Ulrich Müller: Forschungen und Berichte der Archäologie des Mittelalters Bd. 21: Holzfunde aus Freiburg/Augustinereremitenkloster und Konstanz. Herstellung und Funktion einer Materialgruppe aus dem späten Mittelalter. Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1996
  • Florian Westphal: Die Holzfunde von Haithabu. Wachholtz Verlag Neumünster 2006
  • http://www.austria-lexikon.at/af/Wissenssammlungen/ABC_zur_Volkskunde_%C3%96sterreichs/Spanschachtel
  • http://opal-niedersachsen.de/resolve/herzanulm_kunshe_MA312