Heilige Helena, bitt‘ für uns! – Ein Reliquienbeutel

27.09.2020 von Rotschopf in Equipment und Sachkultur, Realien, Textilverarbeitung

Es ward im Jahre unseres Herrn 2020, da kamen die Reenactor in Scharen zusammen zu Hochwang, um sich des Lebens zu erfreuen, sich die Bäuche vollzuschlagen und ihre sterblichen Körper im Wasser der Günz von allen Sünden zu befreien, auf dass die widerlich‘ Seuch‘ an ihnen vorbei geh’n möge. Dort ward ich Zeuge, wie die Jungfrau Helena, vom brennenden Feuer des heiligen Geistes durchströmt, dem Teufel garselbst im Körper eines fürchterlichen Untiers, einem Dachs nicht unähnlich entgegentrat und siegreich aus diesem Kampf zwischen Himmel und Erde, zwischen Licht und Dunkelheit hervortrat. Von Ehrfurcht ergriffen ergatterte ich ein Stück ihres blutigen Kleides und brachte es heim nach Wien, ihm ein Behältnis herzustellen, das dem bezeugten Wunder gerecht werden könne. So sehet, was ich ersann’….

Okok, genug des Marktsprechs. Ich wollte ja schon immer mal ein Reliquienbehältnis haben, mangels einer Reliquie und eines Anlasses, hatte ich aber nie ernsthaft zu recherchieren angefangen, was da wohl passend sein könnte im Umfang meiner Darstellung.

Nun hatte ich endlich einen guten Anlass, denn viele, die ein Stück des Kleides der heiligen Helena ergattert hatten, machten sich nach Rückkehr in ihre Heimatorte daran, unterschiedlichste Reliquienbehältnisse herzustellen. Wer gerne die anderen Produktionen anschauen möchte, der kann auf Facebook unter den Hashtags #heiligehelenazuhochwang und #saintsandbadgers schon einige von ihnen finden und es kommen sicher noch mehrere hinzu.

Ich selbst bin leider nicht in vielen Materialien fit, aber Textil, das kann ich halbwegs. Also suchte ich mir aus einer ganzen Reihe von kuriosen Reliquienbehältnissen einen Reliquienbeutel aus dem Schnütgen Museum Köln aus, von welchem ich allerdings nur ein altes Schwarz-weiß-Bild mit relativ schlechter Beschreibung hatte.

Mir fehlten leider etliche Details und da ich auch nicht auf eine Punktgenaue Replik aus war und das Ganze eher ein Spaßprojekt war, hab ich nicht größer nachgeforscht (bei solchen Angaben sollte man auch immer mal die Datierung hinterfragen, auch das hab ich nicht gemacht, das gebe ich frei zu) und hab einiges ge-freestyled.

Ich hatte mir Silberröhrchen besorgt und kleine Süßwasser-Perlen. Leider stimmen die Größenverhältnisse bei den Perlen nicht ganz, aber das fand ich nicht so schlimm.

Der Körper ist aus taubenblauer Seide, gefüttert mit violetter Seide (beides pflanzengefärbt mit Waid und Indigo-Cochenille), die Seiten und die Öffnung habe ich eingefasst mit einer Brettchen-Webkante, die ich direkt an den Stoff angewebt habe. Sie besteht aus Indigo gefärbtem und Indigo-Krapp gefärbtem Seidenfaden und bildet zugleich auch den Henkel, den ich rundgewebt habe. Die Ziehbändchen habe ich genestelt aus der gleichen Seide. Das Original hat im unteren Teil noch zwei erhaltene quadratische Goldplättchen. Wie genau diese auf dem Original verteilt waren, ist nicht nachzuvollziehen, ich habe daher einen Vorschlag gemacht und in jeden Zwischenraum der unteren Perlenreihe ein Plättchen gesetzt (das ist dünnes Messingblech, kein echtes Gold, das war leider finanziell nicht drin). Über den Quasten sitzen beim Original große Bergkristallperlen, die finde ich ganz besonders schön. Was ich weggelassen habe aus Mangel an passender Gimpe/Goldlahn waren die Türkenknoten auf den Bändchen. Ich muss demnächst mal zu einem Posamentmacher, vielleicht finde ich dort noch gute Gimpe und kann das nachholen.

Totaler Zeitaufwand: ca. 17-18 Stunden, was aber vor allem daran liegt, dass diese *+#!§$&*‘ Süßwasserperlen Löcher hatten, die gerade mal groß genug waren für zwei Seidenfäden, aber für keine Nadel mehr zusätzlich, auch keine sehr dünne Perlen-Nadel. Deswegen musste ich jedes Mal die losen Fäden anfeuchten, zwirbeln und durchfummeln, was eeeeeeeewig gedauert hat. Das passiert mir nicht noch mal, das nächste Mal schaue ich, dass ich passende Perlen mit größeren Löchern finde. Den größten Zeitaufwand abseits dieser Schwierigkeit hatte ich beim Anweben der Einfassung, die mich gute 7 Stunden gekostet hat.

Mir ist bewusst, dass die Perlen und Röhrchen schief und krumm liegen, das ist leider nicht zu ändern. Da das Original so aussieht, als wäre das Netz lose auf dem Stoff liegend und nicht aufgestickt, habe ich das genauso gelöst, das bedeutet aber, dass das Ding ständig in Bewegung ist. Im geschlossenen Zustand finde ich den Beutel dann auch leider nicht so schön, weil die Perlen komisch beulen und man das Muster nicht mehr erkennt.

Und hier noch ein Blick ins Innere mit dem Stück blutigen Kleides der heiligen Helena.

 

(PS: Helena ist wieder wohl auf, der Dachs auch, alles gut, niemand ist gestorben für diese „Reliquie“ ;-) )

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