Warum 1350
Das 14. Jhdt ist eine Zeit des Wandels.
Wir finden genau das an dieser Zeit spannend. Den Umbruch und die Wandlung. Der Bewohner wird zum Bürger, der einfache Handwerker zum respektablen Geschäftsmann, das Heimchen am Herd zur selbständigen Frau, die Ansammlung von Hütten zur blühenden Stadt. Die Hochgotik ist eine Zeit der Entwicklung, in der wenige Dinge feststehen, was die Recherche natürlich schwierig aber auch interessanter macht, den Interpretationsrahmen sehr erweitert.
1338 – die biblische Plage
In diesem Jahr verwüstet ein Heuschreckenschwarm rund um Wien die Ernte, Hunger, Preisanstieg und viele Bankrotte sind die Folge
1348 – die Erde bebt
Eines der wenigen nachgewiesenen Erdbeben in Wien richtet keinen zu großen Schaden an, erschüttert aber die Gemüter der Einwohner zutiefst
1349 – der Tod wandert über Europa
Aus Asien, über Italien und Apulien, die großen Handelswege entlang, schleicht sich die Beulenpest nach Österreich. In ganz Europa rafft sie fast 25 Millonen Menschen, in Wien mehr als 1/3 der Stadtbevölkerung dahin, sie findet die passende Angriffsfläche in den von Hungersnöten geplagten Körpern der Menschen und in den engen und schmutzigen Gassen der Stadt.
1349 – die Suche nach Schuldigen
In den Wirren der Seuche und dem Macht-Vakuum, das durch die Flucht aufs Land von weltlichen und religiösen Herrschern entsteht, sucht sich die Bevölkerung ein Ziel für ihre Wut und Hilflosigkeit und greift, wie so oft, auf eine der unbeliebteren und lang schon misstrauisch beäugten Bevölkerungsgruppe zurück, die Juden. Man verdächtigt sie, die Brunnen der Stadt vergiftet zu haben. die Folge ist ein wütender Mob, der viele Juden auf Scheiterhaufen ohne Verurteilung einfach verbrennt.
Herzog Albrecht II ergreift Partei für die jüdische Bevölkerung und gebietet dem Treiben Einhalt. Er lässt mehrere Dörfer im Umkreis der Stadt verwüsten zur Bestrafung und droht schwere Strafen auf Selbstjustiz gegen Juden an.
1350 – Feuer in der Stadt
Gleich zwei große Feuersbrünste (Herbst 1349 und Frühjahr 1350), die den größten Teil der vorhandenen Baumasse vollständig vernichten und viele Todesopfer fordern (direkt und indirekt im Winter, dem die Bevölkerung danach schutzlos ausgeliefert ist), brechen das letzte bisschen Hoffnung der Wiener.
Die Zeit der „Katastrophenjahre“, ändert vieles in der Realität und vor allem der Selbstwahrnehmung der Bevölkerung, das eigene Leben wird zum hohen Gut, die eigene Sterblichkeit wird den Bürgern Wiens vorgehalten und sie erkennen, es gibt nur eine begrenzte Zeit für sie, um etwas zu schaffen, das überlebt, und um sich auf das Jenseits und das Ewige Leben vorzubereiten.
Zwei interessante Strömungen bilden sich heraus. Eine, die an eine Strafe Gottes glaubt, allem weltlichen absagt, sich dem Glauben und der Buße zutut und eine, die – enttäuscht von der Kirche, die handlungsunfähig zusah, mit fehlenden Antworten nicht gerade brillierte und ihren Einsatz in einer Zeit, in der die Menschen sie am meisten zum Beistand gebraucht hätten, verpasst hatte – hedonistisch den vielen Freuden des Lebens hinterherjagt, um die verbliebene Zeit bestmöglich zu nutzen. Manche Wissenschaftler vermuten hier die ersten Regungen einer Entwicklung, die Ende des 15. Jhdts zum Bruch der Kirche und der Reformation bzw der Renaissance mit ihrer Betonung des weltlichen Daseins führte.
Aber nicht nur in der Persönlichkeit der Menschen ändert sich etwas, die so plötzlich gestiegene Sterberate lässt vielen Stadtbürgern einen reichen Geldsegen mit dem bitteren Nachgeschmack eines viel zu frühen Erbes zu Teil werden und ermöglicht ihnen den Aufstieg in höhere Schichten der Gesellschaft, das sogenannte „Erbbürgertum“ soll in der Folge noch zu einer großen Lobby in der Stadtpolitik und einem Dorn im Auge des durch Blutlinie vererbten Adels werden.
Auch erhöhen sich Löhne durch den auf die Pest folgenden gestiegenen Arbeiterbedarf und führen die Städte zu unerwartetem Wohlstand, die Zünfte nehmen viele Anwärter auf, denen sie zuvor den Beruf verwehrten und letztendlich stellen sich diese Katastrophenjahre als Glücksfall für die Frauen Wiens dar, die notgedrungen Geschäft und Handwerk der verstorbenen Ehemänner und Söhne übernehmen und so die Chance erhalten, sich zu bewähren. In Frankreich bilden sich zu dieser Zeit die ersten reinen Frauenzünfte.
Für die handwerkliche Darstellung, ist also die Mitte des 14. Jhdts ein wichtiger Meilenstein und deshalb äußerst reizvoll.