Der Umgang mit der Pest

„…et nemo magistrorum poterat investigare, an ex errore planetarum vel ex intemperie aeris evenisset talis letalis annus, sed cuncta divine ordinacioni commitebant.“

(Continuatio Novimontensis, p. 675, 5-9).“

Die Pest stellte die Gelehrten der damaligen Zeit, d.h. die Angehörigen des Klerus und die Mediziner vor eine große Herausforderung. Sie mussten mit einer Krankheit umgehen lernen, die hochansteckend  war und von welcher die wenigsten Erkrankten gesundeten. Parallel dazu gab es bereits seit langem Spannungen zwischen den studierten Medizinern, welche sich in ihren Theorien und Behandlungsmethoden auf die antiken Autoren beriefen, sowie den praktisch-orientierten und aus der Erfahrung und Beobachtung heraus arbeitenden Badnern. Keine Seite wollte der anderen Recht geben bzw. sich dessen Blickwinkel genauer ansehen, was unter Umständen zu einer besseren Erkennung der Krankheit  hätte führen können. Wirksam waren schlussendlich beide Parteien in ihren Behandlungen selten, meist schwächten und verschlechterten sie den Gesundheitszustand des Patienten noch zusätzlich.

Zahlreiche Zeitzeugenberichte, wie beispielsweise die Neuburger Chronik (Tochterstift von Heiligenkreuz) oder die Wiener Nekrologien berichten gerade unter den mit der Krankenpflege und Seelsorge beschäftigten Priestern, Mönchen und Nonnen von hohen Sterblichkeitsraten. So starben beispielsweise im Stift Heiligenkreuz 53 der beiden letzteren in Folge der Pest. Als Reaktion darauf betrinken sich die Überlebenden bis zur Besinnungslosigkeit mit Wein, bis es den Quellen nach zu Prügeleien kam:

„Optima vina ubique provenerunt, et de ipso utentibus indiscrete, omnes quasi amenciam contraxerunt, ita ut absquecausa se verberarent atque male tractarent.“ (Continuatio Novimontensis, p. 676, 14-15)

 

 

Reaktionen der Bevölkerung

Es kam generell in allen betroffenen Gegenden zu europaweiten ähnlichen Reaktionen auf die Pest:

  • Flucht aufs Land

„.. nobiles vero et cives volentes fugere mortem ad tuciora loca se transtulerunt; sed quia prius erant infecti, propterea non poterant evadere qui ex eis quam plures morerentur.“(Continuatio Novimontensis, p. 676, 18-20)

Wer es sich leisten konnte bzw. nicht durch Verpflichtungen an die Stadt gebunden war, floh aufs Land, auch wenn dies nicht unbedingt mit einer Errettung vor der Pest gleichkam. Neben den begüterten Stadtbewohnern und dem Adel taten dies auch oftmals Angehörige des Klerus und Ärzte. Dies hinterließ die Bevölkerung in vielen Städten kurzfristig führungslos bzw. bar der religiösen und medizinischen Betreuung in den schweren Zeiten.

In späteren Jahrhunderten kam es in manchen Ländern seitens der Kirche besonders, durch die Angst vor der religiösen Machtübernahme in „predigerlosen“ Gemeinden durch die „gegnerischen“ Glaubensangehörigen etc., dahingehend auch zu schweren Sanktionen gegen flüchtige Kleriker während der Pestzeiten.

  • Zuwendung zur Religiösität

Während und noch eine kurze Zeit lang nach den Pestjahren kam es immer zu Frömmigkeitsübungen. Ob Beichten, großzügige Stiftungen und Spenden an kirchliche Einrichtungen, Reliquienverehrung, barfüßig abgehalten Prozessionen, Wallfahrten, etc. – nichts ließ der Mensch des Mittelalters unversucht, um sich vor der „von Gott als Strafe gesandten“ Krankheit zu schützen.

Mutige Menschen kümmerten sich unter Einsatz ihres Lebens um die Pestkranken – ein Opfer im Sinne der christlichen Nächstenliebe bzw. des Berufsethos (Klerus, Mediziner) das in den meisten Fällen tödlich endete.

Parallel zum Ausbruch der Pest kam es auch in Wien und Gesamtösterreich zur Flagellantenbewegung. Während die Männer, nur in ein einfaches, ihre Scham bedeckendes, Tuch bekleidet, Prozessionen von Stadt zu Stadt abhielten und sich dabei so stark geißelten, das lt. dem steirischen Chronisten des Kloster Neubergs das Blut auf die Straße spritzte, schlossen sich die Frauen nach der Abendandacht in den Gotteshäusern ein, um sich zu geißeln.

„Propterea ut Deus misericorditer genus humanum intueretur inchoata fuit manifesta penitencia; et viri congegrati de civitatibus et villis simul in una societate sicut in processione bini et bini incedentes, nudi toto corpore exepto quod femorale albo panno extenso usque ad talos velabant, et ecclesias cum devocione visitabant, vociferantes materna lingwa de passione Domini pulcras cantilenas, verberantes se nodosis flagellis tam dure quod sangwis guttatim super pavimentum aspergeretur; mulieres vero clausis oratoriis post vesperas eundem actum humiliter prosequebantur.“ (Continuatio Novimontensis, p. 675, 9-23)

„A.D. 1348 circa conversionem sancti Pauli factus est terre motus magnus, maxime in Stiria et Karintia; et secuta est pestilencia hominum in partibus Gallie, et se paulatim extendit usque ad partes Stirie et Carinthie. Quo conperto per Austriam homines devote se habentes iram Dei mitigiare curaverunt, cantando missam Lux fulgebit cum luminibus ante diem, et cum reliquiis de ecclesia ad ecclesiam nudis pedibus incedentes, et ibant viceni per ecclesias nudati et usque ad femoralia flagellantes se et procidentes omnes cum cantu; femine tam aspicientes quam audientes in lacrimarum prouerunt ubertatem.“ (Kalendarium Zwetlense S. 692)

 

  • Suche nach Schuldigen
Von der Pestepidemie erschüttert, wandelte sich die Trauer der Überlebenden, wie häufig zuvor auch, in Wut und Hass auf die Randgruppen der Gesellschaft, Bettler, Prostituierte, aber in erster Linie die Juden. Man gab ihnen die Schuld an all dem Unglück und glaubte durch ihre Vertreibung bzw. Vernichtung sich vor „Vergiftung“ zu schützen.

„Incusati autem Iudei, quod fontes et aquas eciam fluentes quibusdam pulveribus toxicassent, unde in superioribus partibus undique autem iugulati, et in Chremsa adusti sunt una cum domibus eorum.“ (Continuatio Zwetlensis Quarta, p, 685)

Bereits 1338 hatte es in Pulkau einen Vorfall gegeben, in welchem die Juden der Hostienschändung beschuldigt  worden waren, welcher in Verfolgung endete; 1341 schreibt der Klosterneuburger Chronist 

„im selben jar dodtdet man die juden in dem sumer.“

In Wien und Wiener Neustadt, gemeinsam mit Krems die vermögendsten jüdischen Gemeinden Österreichs, waren die Juden aus wirtschaftlichen Gründen im 14. Jahrhundert noch vor Übergriffen relativ gut geschützt. In anderen Orten, wie beispielsweise Krems, kam es jedoch zu (teils tödlich ausgehenden) Ausschreitungen in Form von Plünderungen und Brandstiftungen der jüdischen Häuser.
1420/21, nachdem sich die Animositäten durch den Brand des jüdischen Viertels 1406 in Wien, die wirtschaftlichen und politischen Probleme (man verdächtigte die Juden der Kooperation mit den Hussiten) und einen angeblichen Hostienfrevel in Enns zugespitzt hatten, kam es in der Residenzstadt zur sog. Wiener Geserah, in dessen Folge alle Juden Österreichs gefangengenommen und die Kinder zwangsgetauft wurden (was auf Intervention von Papst Martin V. in einer Bulle verboten wurde). Diejenigen die schlimmen Haftbedingungen und Folterungen überlebt hatten, über 200 Menschen, wurden am 12. März 1421 auf Weisung von Herzog Albrechts auf der Wiener Gänseweide verbrannt.

 

  • Exzessive Lebensführung

In der Neuberger Chronik findet sich ein Hinweis, auf die plötzlich erstarkende Lebensfreude direkt nach der Pest: Statt langer Trauer flohen sich zahlreiche Menschen, ihrer eigenen Sterblichkeit stärker als je zuvor bewusst, in hedonistische Exzesse nach der epikureischen Tradition des „Esset, trinket, und seid froh, denn morgen sterben wir!“

„Hoc facto convivia et nupcias iocundo animo ubique celebraverunt, ut sic semigaudio refocillati merentes non desperarent.“ (Continuatio Novimontensis, p. 675/676)

 

 

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