Die Pest in Wien 1348/49

„1349… Eodem anno flagellatores surrexerunt, qui flagellaverunt se, et ibant de civitate in civitatem, et de villa in villam. Et finita ista secta, venit pestilentia sive mortalitas magna et inaudita, quod sepe una die sepeliebant mille homines nisi in una civitate, et in rure sepeliebantur homines in campis, et talis pestilentia nunquam visa fuit, nec visa est.“ (Continuatio Claustroneoburgensis V., p. 730)
 
  
Pesttote; Stocinger Hans,1407, Terlan, Südtirol; Wandmalerei
Quelle: Institut für österr. Realienkunde
 
 

Was die mittelalterlichen Chroniken aus der 1. Hälfe des 14. Jahrhundert berichten…

Die Pest war eine Strafe Gottes, für ein Vergehen der gesamten Menschheit – so war die unangezweifelte Meinung des spätmittelalterlichen Menschens. Schlussendlich kam sie auch nicht völlig „überraschend“, denn wie bereits im Alten Testament bei Moses nachzulesen steht, gibt es, und gab es nach Ansicht der damaligen Zeit, auch im Fall der Pest, göttliche „Warnzeichen“ in Form von Plagen und Zerstörung, wovon so manche Chronik lebhaft berichtet, auch wenn all diese Aufzählungen und Berichte durch ihre religiöse, gesellschaftliche oder politische Vorprägung bestenfalls eine Art zeitgenössisches Stimmungsbild, jedoch aus heutiger wissenschaftlicher Betrachtungsweise aus nie mehr als eine Sammlung von Anekdoten bzw. persönlichen Eindrücken, aber in den seltensten Fällen ein unkritisch zu übernehmendes, glaubwürdiges Bild oder Faktenwissen zum  realen Zustand in den Jahren vor/um der Pest, ergeben können (!!!):

1317 zerstörten Unwetter und ein Donauhochwasser die gesamte Ernte, in dessen Folge es zur Hungersnot kam. (vgl. Annales Zwetlense). In der Landwirtschaft dürfte in Niederösterreich / Waldviertel Hafer gegenüber dem Roggen offensichtlich im Anbau dominiert haben. Nachdem sich die Werte, für beide Getreidesorten trotz einer insgesamt für das Jahrhundert rückläufigen Tendenz, bis 1340 wieder erholt hatten, kam es in den Folgejahren wie landwirtschaftliche Abgabenberichte sowie die Continuatio Novomontesis schildert u.a. durch lange Wintern (1339, 1340), Kälte (1341, 1347), Brände (1342), Überschwemmungen (1342),  Erdbeben (1342), Stürme (1342),  Heuschreckenplagen  (1338, 1339, 1340), „schrecklichen Ereignissen“ (1344), zum Einbruch in der Landwirtschaft, und es werden Tiefstände wie 1331 erreicht, ohne jedoch völlig abzustürzen. 1343 herrschten (zumindest in Ostösterreich) durch Ernteausfälle „Mangel und Entbehrung“. (vgl. Continuatio Novimontensis)

1322 verursacht zudem ein schwerer Frost große Schäden an den Weinbergen im Wiener Umland (Klosterneuburg), in dessen Folge sich der Weinpreis erheblich verteuerte (vgl. Zeibg, S.5). im Herbst 1347, war die Weinlese des sogenannten „Spiess“  im Klosterneuburger bzw. Zwettler Raum nach Schneefall und starkem Frost ungewohnt bitter (vgl. Klosterneuburger Chronik, Kalendarium Zwetlense), was für manche vom Wein abhängigen Familie zu einer wirtschaftlichen Katastrophe führte.

Auch Wien entging dem Unglück nicht und war zweimal von Bränden betroffen: Am 5.12. 1326  bricht im Haus eines Bäckers beim Haus des Notars Heinrich von Luzern, dem Pfarrer von Wien, in der Wallnerstraße ein Feuer aus. Kaum ein Drittel der Stadt bleibt unbeschädigt. Im Folgejahr ist es am 23.3. die Küche des besagten Notars selbst, die einen Großbrand auslöst, in dessen Folge die Stadt von der Herrengasse bis zum Kohlmarkt in Schutt und Asche gelegt wird (Bereich Stephansplatz-Kärntner Straße-Graben-Singerstraße-Stadtmauer-Radstraße (Bräunerstraße)-Neuer Markt). (vgl. Opll, Nachrichten S. 70). Der Name der heutigen „Brandstätte“ geht vermutlich auf diesen Großbrand zurück!

Eine Heuschreckenplage richtet 1340 im Wiener Umland großes Unheil an:

„… seind die ersten haberschreckhen gewest, wir lieffen in dem pach mit bekhen und phannen und mit huettertafeln und verjagten die haberschreckhen, do wo es sich nider legt, da tets grossen Schaden.“ (Zeibig, S.6)

In Kärnten kam es am 25. Januar 1348 zu einem schweren Erdbeben, in dessen Folge Villach durch Brände zerstört wurde, mit einem einhergehenden Felssturz des Dobratsch, welcher durch seinen Fall in die Gail Überschwemmungen in den umliegenden Gebieten auslöste.

„Anno 1348 in dem jar nach weynachten geschah ain grosser erdpidem in carnten in ainer stadt, hayst villach, die zerfiel über all, die ringmauer, leit noch heut des tags im graben. Es geschach an pauli bekherung und was ain schoner tag es verfiellen sich auch 10 guetter vesten, sich zerriss ein perg von einander, und fiell in den tieffen see, es ertrencht der see aus wol 7 dörffer, es geschach zu mittag, die weil das volckh zu der predig sass in ainer gewelbten khirchen, das volckh verdarb alles, der prediger kham darvon, lebet aber nur bis an 3 tag und starb, und verdarben gar vill khauffleut. hie in osterreich hueben sich die buessleut an, und gaisleten sich bitterlich hin und her im landt, es stund gar kläglich. sich verkhert die sun vorhin und geschahen vill zaichen.“ (Zeibig, S. 7)

„Item a.D.1348 post festum purificacionis factus est terre motus qualis unquam fuit, maxime in partibus Karintie, et civitas Villach est subversa“ (Kalendarium Zwetlense, S. 692)

„1348. In die conversionis beati Pauli universalis terremotus hora vesperarum emersit, sed in aliquibus locis vehementior ac crudelior, quemadomum in Villaco evidentius est ostensum. Nam cum in ecclesia causa devotionis homines ibidem convenissent, eadem hora uno impetu mota est terra, structurisque corruentibus simul interierunt, et muros civitatis et firma edificia illa concussio subvertit. Homines vero absque numero, qui non poterant celeriter a ruina fugere, eodem momento sunt extincti; firmas etiam circumadiacentes munitiones et villas precipitanter absorbuit.“ (Codex episcopali, vgl. Codex Novimontense, ebda p. 674, 7-25)

Der Schwarze Tod erreicht Wien

Wenige Wochen nach dem Unglück erreichte die Pest die vom vorhergehenden Unglück betroffenen Gebiete Südösterreichs. Beinahe sofort brachten die Ärzte und Gelehrten der Zeit die Seuche mit dem Erdbeben, welches wohl schlechte, pestilente Luft heraufbeschworen hätte, in Verbindung. Aber auch Ideen und Motive aus Religion und Volksglauben, wonach die Pest von sündhaftigem Lebenswandel, giftigem Regen und Schlangen etc. verbreitet wurde, schloss man nicht aus:

„Eodem anno infinita disturbia in pluribus regionibus apparuerunt, quia seva pestilencia in partibus transmarinis primo oriebatur, et per diversos effectus inmanissime omnes interficiebat. Primo per malignam inpressionem superiorum aerisque corrupcionem homines et iumenta in illis partibus sicuti erant constituti in loco aut in labore, ita in lapides transmutabantur. Insuper in partibus ubi zinziber letalis pluvia descendeit, mixta cum serpentibus et diversis vermibus pestiferis; et cunctos quos tetigit continuo extinxit. (Continuatio Novimontensis, p. 674, 19-31)

Weiters schildert der Codex Novimontensis, wie sich die höchst ansteckende Krankheit, von einer Schiffsbesatzung nach Europa gebracht, von Venedig aus rasch ausbreitet und niemanden am Leben ließ. Bereits damals war dem Chronist offensichtlich bewusst, das eine große Verbreitungsgefahr des Erregers über die Handelswege bestand, da die Krankheit viele Kauffleute, welche auf den ersten Blick anfangs gesund gewirkt hatten, am Rückweg aus von der Pest betroffenen Gebieten hinwegraffte. Weiters beschreibt er, wie belebte Städte plötzlich leer stehen, wie als Hygienemaßnahme (wie in Italien als Vorreiter gepflegt wurde) zur (erfolglosen) Verhinderung der Ausbreitung der Krankheit die erkrankten Menschen in eigene Seuchenhospize gebracht werden bzw. die Häuser erkrankter Menschen versiegelt werden.

„Non longe ab illa regione accidit, quod terribilis ignis de celo fulminavit, et ea que reperit consumpsit; lapides vero virute illius ignis ita ardebant ac si in arida ligna fuissent mutati. Fumus inde procedens erat valde contagiosus, ita ut mercatores a longe ipsum intuentes statis inficerentur; nonnulli ex eis eciam vita ibidem finierunt. Qui autem evaserunt, pestilenciam secum deportaverunt, et omnia loca ad que cum mercimonis applicuerunt, sicut Greciam, Italiam et Romam, infecerunt, et vicinas regiones per quas transierunt. … et civitates que antea populose extiterant, ex eo quod habitatores in eis essent defuncti, clausis portis firmissime custodiebantur, ne quies res mortuorum raperet violenter..“ (Continuatio Novimontensis, p. 674, 31-44, 49-53)

Nach Kärnten wurde die Steiermark von der Seuche überrollt. Als diese gegen Spätherbst endlich abgeklungen war, brachte mit Frühjahr 1349 der über Ungarn kommende Pestzug die Krankheit nach Wien und Ostösterreich.

In Wien raffte die Krankheit von 12.4.-31.5. sowie 24.6.-29.9. etwa 2/3 der Bevölkerung dahin. Schon bald waren die Bewohner der Städte Wiens und Österreichs den unzähligen Toten, (die Chroniken berichten von Tagen mit angeblich 480 bis 960 Toten) nicht mehr gewachsen, weshalb man dazu überging, die Leichen in Massengräbern in geweihten Böden auf einem Feld ausserhalb der Stadtmauern zu bestatten. Für die sechs großen, bis zum Grundwasser gehenden, Gruben wählt man den Friedhof St. Koloman nahe des Bürgerspitals (im Bereich der heutigen Technischen Universität). St. Stephan verzeichnet an einem einzigen Tag 500 Begräbnisse, an einem anderen Tag sogar 1.200. St. Stephan selbst verliert im Zuge der Pestwelle 54 Priester. Die von den Chroniken angegebene Zahlen, z.B. von 40.000 Pesttoten in einer Grube, ist wohl wie häufig in der Zeit als eher übertrieben und symbolhaft anzusehen, die Auswirkungen auf Wien waren aber sicher nicht minder schlimm.

„1349. Sevivit crudelissima pestilencia, que interemit forsan terciam partem hominum; quia in Wyenna decesserunt qualibet die due vel tres libre hominum et una die quatuor libre, una die 960.“ (Annales Matseenses, p. 829, 31-33)

„A.D. 1349 … Pestis vero contagiosa predicta successive pervenit usque ad Wyennam, necnon in omnes terminos, ita ut homines absque estimacione exspirarent, et tercia pars hominum in vix remaneret. Ideo propter fetorem et horrorem cadaverum non sinebantur sepeliri in cimiteriis ecclesiarum, sed mox cum fuissent extincta deferebanturad communem locum in agrum Dei extra civitatem, ubi quinque fovee in brevi profunde et late usque ad summum sunt corporibus mortuorum replete; et duravit hec pestilencia a festo penthecostes usque Michaelis.“ (Continuatio Novimontensis, p. 676, 3-11)

„Invaluit eciam cementer sancti Stephani numero quinaquaginta quatuor rebus humanis excederent (ex Sancto Stephano 54 sacerdotes), de omni vero residuo populo numerata sint uno die XII C. funera ad sanctum Colomanum tradita sepulture et domus de centum habitatoribus remanerent vascue, hereditates eciam vagarentur immerito.“ (Chronica Autrie, 316)

„Do wart der sterb in allem Osterreich gar gross, und doch besunder da ze Wienn, also daz man alle lewt, arm und reich, muest legen in den Gotsakker ze Sand Cholman. Und sturben so vil lewt an einem tag zweliffhundert leich, die gelegt wurden in den Gotsakker; und wurden daselbs sechs grueb gegraben, uncz auf das wasser und man legt in die ain grueb vierczig tausent leich, an die haimleich begraben wurden in den Klöastern und in andern Kirchen: wann der Herzog floch aus der Stadt gen Purchartsdorff und verpot, daz niemand torst gelegen auf die freithöff überall in der Stat. Und auch fluhen vil lewt aus der Stadt, der vil auf dem lannd sturben. (Klosterneuburger Handschrift, in: Pober, Spurensuche)

Bedingt durch die vielen Todesfälle innerhalb des Klerus war die Abhaltung von Gottesdiensten kaum mehr möglich, und die hohe Sterblichkeit verunsicherte auch die Bevölkerung, bald kam die Ordnung zum Erliegen und viele Menschen wurden zu „Gesetzlosen“.

„Et de illa crudeli mortalitate transacta homines penitus inmemores qui remanserant, pluribus se erroribus et contencionibus miscuerunt, quia ditati fuerant de substancia mortuorum. Ideo intrepide metam excedebant et sine lege quam plures vivebant; (Continuatio Novimontensis, p. 676, 16-18)

Kurz nach Wien ergriff die Seuche auch das Wiener Umland. Der Klosterneuburger Chronist beschreibt eindrucksvoll die Zustände, als die Pest das nahe bei Wien gelegene Klosterneuburg erreichte:

Anno 1349 das jar hueb sich senftlich an, es schickhet sich woll zu weingartten und das getraydt, sich verkert die sun und der mon verloren ir farb. es khamen aber vill buessleut herauff von haimburg. es geschachen woll 12 schauer und erschluegen wein und traydt und und umb s.gilgen tag hueb such an ein grosser sterben. es kham am ersten an die grossen herren, die gewunnen das vallundt, die ersten hie zu neuburg, christan schliessler, der sass in der burgg, der fiel hinab den tisch, und starb, herrn simon den ritter fandt man dodt im peth, des morgens, desgleichen der hüntzel, der zistel. Es stund nit lang darnach es ging mit gewaldt nider. (Zeibig, 7)

Erst mit Spätherbst klang die Pest ab, um danach für einige Jahre einen Bogen um Wien zu machen, ehe der Pesterreger knapp 20 Jahre später erneut zuschlug.

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