Maria am Gestade

Maria am Gestade gehört gemeinsam mit St. Ruprecht und der Peterskirche zu den frühesten Kirchengründungen Wiens und steht besonders im Spätmittelalter eng im Zusammenhang mit dem aufstrebenden Bürgertum.

An der nordwestlichen Ecke des ehemaligen Legionärslager Vindobona auf einem steilen Schotterplateau zwischen dem früheren Salzgriesarm der Donau und dem Tiefen Graben liegt die Anlage, deren Namen sich von den geographischen Umständen ableitet: „Unsere Frau auf der Stetten“, „Maria am Gestade“, „Sancta Maria in litore“.

Die Anfänge des Kirchenbaus sind ins 8./9. Jahrhundert hinein zu vermuten, einem Holzbau, der Schiffern und Flößern als Gebetsort diente. Einer alten Überlieferung zufolge soll 882 der Missionar und Baumeister Alfried von dem Passauer Bischof Mafalvin mit der Errichtung einer Marienkapelle als Schutz für ein von den Schiffern mitgebrachtes besonderes Marienbild beauftragt worden sein.

Im 11. Jh. reformierte der Passauer Bischof Altmann die Kirche, in einer Zeit, in der Wien durch seine Lage als Zwischenstation der Kreuzfahrer sehr geschätzt wurde. Eine Statue auf der linken Seite im hinteren Teil des Kirchenschiffs erinnert an ihn.

Wahrscheinlich wurde Maria am Gestade 1137 der Stadtpfarrkirche St. Peter unterstellt. Nach der Gründung des Schottenstifts im Jahr 1155 durch Heinrich Jasomirgott II., fiel die Kirche gemeinsam mit der Peterskirche und St. Ruprecht an das Stift. Vermutlich in diesen Zeitraum fällt auch der erste romanische Kirchenbau.

1262 wurde die Kirche durch einen Brand zerstört, 1276 erfolgte ein Neubau, der sich etwa im vorderen Teil des heutigen Langhauses befand. Im Bereich der nördlichen Grundmauer sind noch spätromanische Reste und Spuren römischer Fundamente erhalten.

Im selben Jahr wurde der Kirche durch den Bürger und Ritter Haymo eine ständige Priesterstelle samt einer Sakristei gestiftet. Obwohl in Maria am Gestade ein Kaplan eingesetzt wurde, besaß es keine Pfarrrechte (und ist auch bis in die Gegenwart hinein keine Pfarrkirche geworden), und damit verbunden kein Taufbecken und keinen Friedhof, wenngleich im Kircheninneren sehr wohl Grablegungen stattfanden.

1302 erwarb der Bürger und Ritter Griffo den Unteren Passauer Hof und ließ nach einem Tausch der Patronatsrechte mit dem Schottenstift die Kirche zeitgemäß umbauen. Maria am Gestade wurde bis ins 16. Jh. hinein, typisch für die religiöse Einstellung des Spätmittelalters, mit Stiftungen, Schenkungen und Benefizien bedacht.

1330 wurde auf einem vermachteten Baugrund ein gotischer Chor an die bestehende spätromanische Kirche angebaut, ein neuer Marienaltar markierte 1357 die Fertigstellung des Bauvorhabens. 1357 wurden die Patronatsrechte von der Familie Griffo an das Passauer Offizialat, welches den Sitz der Passauer Bistumsverwaltung von Tulln nach Maria am Gestade verlegt.

1391 kam es durch Freiherr Johann von Liechtenstein-Nikolsburg, Hofmeister Albrechts III., zu einem neuerlichen Patronatswechsel im Zusammenhang mit dem Wunsch nach einem Kirchenausbau. Eine Kollegiatsstiftskirche bzw. Dom sollte eingerichtet werden. 1394 wurde der Grundstein für das neue Langhaus gelegt. Die Familie Liechtenstein blieb bis ins 16. Jahrhundert mit Maria am Gestade verbunden, wovon auch zwei Grabplatten zeugen.

1409 wurde die Kirche wieder vom Bistum Passau übernommen. Der „renthof“ (Passauer Platz 3) wurde über eine gedeckte Brücke (Schwibbogengang) mit der „Porkirche“, einer kleinen Kapelle auf der heutigen Orgelempore, verbunden. 1414 war der Bau beendet, die Verwaltung und Instandhaltung oblag ab nun der Stadt. Spätestens 1429 waren auch die Arbeiten am Turm abgeschlossen.

Auch als  1469 die Stadt Wien zum Bistum erhoben wurde, blieb Maria am Gestade eine Passauer Enklave.

Während der Reformationszeit und der ersten Wiener Türkenbelagerung war das religiöse Leben in Maria am Gestade gelähmt. Erst Petrus Canisius gelang es 1552 zahlreiche Zuhörer anzuziehen. Die Rekatholisierung der habsburgischen Erbländer begünstigte die weitere Belebung zusätzlich.

1676 wurde eine St. Leopolds-Bruderschaft gegründet, im 18. Jahrhunder hielt der Barock auch in Maria am Gestade Einzug. Ende des 18. Jahrhunderts kam es für die Kirche zu einem großen Einschnitt, als Kaiser Joseph II. die Organisation der Diözesen neu regelte, wodurch Maria am Gestade als Sitz des Passauer Offizialats verlor. 1805 wurde der Kirchenbau profaniert, verödete und stand knapp vor dem Abbruch.

Dem Wunsch nach einer Wiederbelebung der Kirche durch die Landmannschaft der Wiener Tschechen ist es zu verdanken, dass Kaiser Franz I. 1812 die Wiedereröffnung und Instandsetzung der Kirche anordnete. Am 19. April 1820 ging Maria am Gestade an die Redemptoristen über. Abgesehen von einem kurzen Intermezzo während der 1848-Revolution, betreut der Orden die Kirche seitdem bis heute un ununterbrochener Kontinuität.

 

Besonderes:

Die Tradition, das Hochfest des 8. Dezembers (Immaculata Conceptio Mariae, Maria Empfängnis), gleichzeitig Patronatsfest der Kirche, in Maria am Gestade feierlich zu begehen, wurde bereits seit 1389 von der Wiener Universität gepflegt.

 

Mittelalterliche Kunstschätze:

Anmerkung: Die meisten Skulpturen mit mittelalterlichem Flair des Aussenbereichs der Kirche stammen aus der Zeit um 1900!

  • Glasfenster aus dem späten 14./frühen 15. Jahrhundert: Stiftungen. Nordfenster, Südostfenser, Südfenster. Bild-Anordnung nicht mehr dem Original entsprechend
  • Grabplatten des Hans von Liechtenstein (gest. 1473) und der Afra von Liechtenstein-Trautmannsdorff (1439)
  • Tafelbilder (Maria Verkündigung, Mariä Krönung, Christus am Ölberg, Kreuzigung Christi) zu beiden seiten des Hochaltars (1460): vermutlich aus einem spätgotischen Flügelaltar oder Lettneraltar. Der unbekannte Künstler wird als Meister von Maria am Gestade bezeichnet. Zweiseitige Tafelbilder.
  • Reliefs am Westportal (um 1400): vier Propheten, Johannes Evangelista, Johannes der Täufer
  • Doppelportal zum Chor: „Mariä Krönung“ und „Schutzmantelmadonna“ (Mitte des 14. Jh.)
  • Strahlenkranzkruzifix (1440) über dem Altar
  • Gotisches Sakramentshäuschen: an der nördlichen Wand des Hochaltares mit Spruchband „Ecce panis angelorum factus cibus viatorum vere“
  • Triumphbogen am Übergang vom Chorraum zum Langhaus mit Bauinschrift 1414 und Wappen der Familie Liechtenstein.
  • Perger-Altar (1520, Türe an der Nordwand des Chorraums): Renaissancealtar mit Figuren im Stil der Wiener Spätgotik
  • Hornberger-Epitaph, 1462: Im Kapellenraum an der Südseite des Langhauses, an das Turmuntergeschoß angeschloßen. Das Gedächtnisbild, gestiftet vom Passauer Offizial Caspar Hornperger, befindet sich an der Turmwand.
  • Verkündigungsgruppe, um 1360: Evtl. von Meistern der Wiener Minoritenwerkstätte (unter französischer Leitung). Engel und Maria stehen miteinander in Beziehung.
  • Zwei Königsfiguren im Langhaus (um 1365): Evtl. Bestandteil einer ursprünglichen Dreikönigsgruppe
  • Glasgemälde in der Kapelle des Hl. Klemens (frühes 15. Jh.)