Säuglings- und Kleinkindpflege
Verglichen mit heutigen Zugängen zum Umgang mit Säuglingen und Kleinkindern finden sich überraschend viele Parallelen:
Sobald das Kind geboren worden war, sollte man es Pucken, wobei man achtsam die Gliedmaßen in richtiger Haltung adjustiert, denn diese würden, weich wie Wachs, jede Form annehmen, die man ihnen gibt – weshalb Schönheit und Hässlichkeit sehr von den zuständigen Ammen abhängen. Und wenn seine Arme eingewicklt sind, und die Hände über den Knien liegen, und der Kopf leicht gebunden und bedeckt wurde, dann soll es in der Wiege schlafen. (Aldobrandino of Siena, Regimen for the Body (1254))
Als Hauptnahrung des Säuglings in den ersten ca. 1-3 Jahren gilt das Stillen, die Entwöhnung erfolgte oftmals parallel zum sich entwickelnden Milchgebiss, wodurch der Säugling in der Lage war, alles zu essen. Zur Entwöhnung wurde beispielsweise empfohlen die Brust mit unangenehm bitteren Essenzen, wie Senf und Aloe, einzuschmieren. Das Ideal der selbst stillenden Mutter, besonders in Form von der stillenden Maria, wird in vielen Schriften hochgelobt, wenn nicht gar gefordert. Der Säugling sollte so oft er es bedurfte gestillt werden, dh. die Mutter passte sich dem Rhythmus des Kindes an. Bereits mittelalterliche Gelehrten wussten, dass die ersten 6 bis 8 Monate prägend für das weitere Leben, besonders für das Selbstvertrauen des Kindes waren.
Stillten die Frauen der ärmeren bzw. mittelständischen Bevölkerung meist selbst, so entwickelte sich im Verlauf des Spätmittelalters ein blühendes Ammenwesen besonders in höheren Kreisen.
Da man davon ausging, dass mit der Milch auch Charaktereigenschaften der Amme auf das Kind übergingen, wurde sehr viel Wert auf eine gute Wahl gelegt. Eine im Haus lebende Amme erhielt mehr Lohn, als eine zu der das Kind fortgeschickt wurde, auch war ihr untersagt während der Stillzeit Geschlechtsverkehr zu haben, wurde die Amme doch schwanger, so wurde ihr das Pflegekind weggenommen und zu einer anderen Amme gebracht, da man dachte, dass das Stillkind nur noch das schlechte Blut (man dachte die Muttermilch wäre eine Umformung des Blutes) erhielt, während alles gute dem Fötus zugute kam, aber auch die Milch weniger werden konnte.
Stillenden Müttern wurde nahe gelegt, guten und delikaten Wein zu trinken, keinen schweren. Wein wurde übrigens auch Kindern verabreicht – bis zum 7. Lebensjahr sollten sieeinfachen Wein trinken, abhängig von der Stärke des Weins und dem Alter des Kindes mehr oder weniger mit Wasser verdünnt. Weißwein sei besser als Rotwein geeignet. (Michele Savonarola, Ad mulieres ferrarienses (um 1450))
Da Stillen als ein, wenngleich nicht vollkommen sicheres, Konzeptivum gilt, wundert es nicht, dass in ärmeren Schichten die Abstände zwischen den Schwangerschaften und Geburten größer sind als im Hochadel.
Tierische Milch wurde von den Gelehrten und Medizinern eher abgelehnt, wenngleich in Notsituationen oder in Findelhäusern immer wieder Kuh- oder Ziegenmilch (ab einigen Monaten uu. auch mit Wasser verdünnt als Brei zubereitet)verabreicht wurde. Die Lebenserwartung der damit gefütterten Kinder war jedoch eher gering.
Nach der erfolgreichen Entwöhnung bekam das Kind drei Mahlzeiten, meist in Breiform.
Zahnenden Kindern sollte der Gaumen und Zahnfleisch sanft massiert werden. Weitrs sollte das Zahnfleisch 2 mal am Tag mit Hasenhirn, Fett, Butter oder hochwertigem Olivenöl, alternativ auch Hundemilch oder Hühnerfett eingestrichen werden. Der Autor warnt jedoch davor, dass wenn das Kind einmal Hasenhirn gekostet hätte, die Rückehr zu Birnenpürree nicht mehr möglich sei. (Aldobrandino of Siena, Regimen for the Body (1254))
Die in den ersten Lebensmonaten in Bandagen gepuckten Säuglinge sollten laut Francesco da Barberino in seinem „Reggimento e costumi di donna“ mindestens 2 bis 3 mal täglich nach einer langen Siesta vor dem Stillen in lauwarmem oder heißem Wasser, je nach Jahreszeit, gebadet werden. Besonders im Winter solle das Bad nahe der Feuerstelle vollzoen werden. Es sollte jedoch darauf geachtet werden, dass die Haut des Kindes dabei nicht gerötet oder überhitzt wird. Auch sollte vermieden werden, dass Wasser in die Ohren des Babys eindringe. Wolle das Kind mit den Füßen das Wasser treten, so sei dies nur zu unterstützen, da es seine Muskeln aufbauen würde. Füße und Beine sollten zu den Nieren gestreckt werden, Gelenke abgebogen und mit Öl eingeschmiert werden – damit sie nicht quietschen wie eine Handschrift um 1320 erklärt. Eingeölt wurden auch die Nasenlöcher.
Man ging davon aus, das die Knochen des Säuglings noch sehr weich waren, und erst langsam in Form wuchsen, welche es durch gezielte Bewegung der Gliedmaßen gefördert bzw. bei Bedarf korrigiert werden sollte.
Anschließend möge man das Baby mit weichen Tüchern abtrocken, und es, sollte ihm kalt sein, davor wärmen.
Die Windel selbst wurde durch die eher umständliche Wickelprozedur, welcher besonders zu Beginn nur den Kopf freiließ, später mal Oberkörper, mal Unterkörper freiließ, meist eher selten gewechselt, Abszesse und wunde Stellen waren an der Tagesordnung.
Geschlafen wurde in einer Wiege oder dem Bett der Eltern/Amme. Immer wieder ermahnen Chronisten, besonders bei letzterem Vorsicht walten zu lassen, um das Kind nicht zu erdrücken.
Die Erziehung der ersten Lebensmonate und Jahre war sehr an das Kind angepasst: Schreien sei schädlich für das Kind, und sofern es sich nicht beruhigen ließ, sollten Windel, die Festigkeit der Wickelbänder oder auf etwaigen Hunger kontrolliert werde. Schrie ein Kind sehr oft, so glaubte man, dass es ein Wechselbalg sei. In, dem Volksglauben entnommenen, Ritualen versuchten die besorgten Mütter ihr richtiges Kind zurückzuholen – nicht selten jedoch verstarben die Kinder dabei, waren die Praktiken wie z.B. das Überschütten mit heißem Wasser, Aussetzen an mythisch besetzten Stellen in der Wildnis etc. doch lebensbedrohlich, weshalb die Obrigkeit im ausgehenden Mittelalter zunehmend versuchte, diesem Brauch durch schärfere Kontrollen und Strafen Einhalt zu gebieten.
Hinsichtlich der motorischen und geistigen Entwicklung war man sich von der Individualität des Kindes bewusst und drängte es nicht dazu, zu sitzen/gehen und zu sprechen, solange es nicht von selbst dazu bereit war. Mutter und Amme bzw. Kindermädchen waren jedoch dazu angehalten, das Kind spielerisch zur Bewegung anzuregen, so gab es auch eigene Lauflernwägen, Kindersessel etc. um es zu ermutigen. Bis zum 7. Lebensjahr lag die Kindererziehung in der Hand der Frauen.
Zur Erleichterung des Alltags wurde gerne getragen. Die Bildquellen zeigen hier 3 „modi operandi“ häufig: sehr häufig das Tragen in einem Sling, einmal das Tragen in einem Sack (oder als Rucksack gebundenes Tuch?) am Rücken, und kurioserweise relativ häufig: das Tragen fixiert in der Krippe.
Historische Bildquellen zu dem Thema Säuglings- und Kleinkindalter haben wir hier für euch gesammelt!
Quellen:
- Weber-Kellermann, Ingeborg (1997): Die Kindheit. Eine Kulturgeschichte. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Insel-Verl (Insel-Taschenbuch, 1972)
- Melitta Weis-Amer: Medieval Women’s Guides to Food during Pregnancy: Origins, Texts, and Traditions*(PDF)
- Sandra Schmidt: Die Kindheit im Mittelalter (Universität Salzburg, SS1999, Institut für Geschichte)
- Kühnel, Harry; Hundsbichler, Helmut (1986): Alltag im Spätmittelalter. 2., verb. Darmstadt: Wiss. Buchges.
- Šaḥar, Šûlammît: Kindheit im Mittelalter. 1991, Artemis & Winkler Verlag: München.
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