Tragen von Babys & Kleinkindern
Trag mich, aber wie? Ein Satz der Eltern bereits zu Anbeginn der Zeit beschäftigt hat, und bis heute aktuell geblieben ist. In diesem Artikel möchte ich daher ein wenig disziplinen- und zeitenübergreifend einen thematischen Schwerpunkt aus meinem privaten Leben aufgreifen: das Tragen von Babys und Kleinkindern. Wie manche vielleicht wissen, bin ich seit 2015 als Trageberaterin aktiv und in diesem Zusammenhang lese ich in Tragegruppen oftmals den Wunsch nach Tragen des Babys auf „mittelalterlichen“ Veranstaltungen und de Wunsch den Spagat zwischen „historisch korrekt“ und „gesund fürs Baby“ zu meistern.
Und hier möchte ich ansetzen und euch verschiedene Tragevarianten anhand vorhandenen Bildmaterials des 13.-15. Jahrhundert etwas näher bringen, aber auch aus Trageberatersicht sagen, was es für Möglichkeiten gibt, um diesem Ideal nahe zu kommen, ohne aber den heutigen Wissenstand für gesundes Tragen ausser Acht zu lassen – ein Aspekt der besonders bei jungen Babys – entgegen der historischen Vorlage – bei der Nachstellung auf Veranstaltungen berücksichtigt werden sollte!
Beginnen wir vielleicht zuerst einmal mit der Quellenlage. Es gibt fürs Hoch- und Spätmittelalter nicht viele, aber doch eine schöne Handvoll an Bildbelegen. Die Mehrheit davon – natürlich biblischen Ursprungs – zeigt Maria und Josef auf der Flucht nach Ägypten, andere dagegen den Hl. Christophorus. Obwohl ein Hauptteil der Bilder Tücher auf Hüfte oder Rücken platziert zeigt, finden sich auch einige Kuriosa im Bildmaterial: Kiepen, Babywiegen, auf Stangen gespannte „Hängematten“, und Gürtel.
Aber fangen wir am besten beim Thema Tuch an…
Tragetücher – Material & Länge
In Bildquellen werden Tücher fast immer in weiß dargestellt und aus einem gut bindbaren, eher schmalen, teilweise auch mit Quer-Linien (vgl. Perugia Handtücher) durchbrochenen, stabilen Material. Leinen oder Hanf als Grundmaterial würde ich hier als sehr wahrscheinlich annehmen. Durch den geringen Stoffüberschuss handelt es sich um recht knapp bemessene Tücher.
- Für die praktische Umsetzung:
Für die Slingvarianten reicht euch eine „2“. Von Didymos gibt es gebraucht hie und da noch ein „Reinleinen“-Tuch, welches ihr auch auf den Fotos seht. Ich habe damals ein 7er in ein sehr kurzes (knapp 2m) und längeres Tuch geteilt. Ersteres war mit Neugeborenem ausreichend, zweiteres passt nun mit Kleinkind optimal. Optional stellt auch z.B. ein naturfarbenes Didymos Indio oder ein Storchenwiege Leo eine leistbare Alternative
Tragetücher – Bindeweisen:
Im Bildmaterial finden sich 3 Typen:
1.) Sling auf der Hüfte mit Knoten auf der Schulter oder am Rücken verborgen. Den meisten ist gemein, dass die Auflagefläche, auf welcher das Kind sitzt recht schmal ist, dh. der Rücken in keinster Weise gestützt und das Kind somit gehalten werden muss, vor allem jüngere Kinder, welche noch über wenig Körperspannung verfügen.
Praktische Umsetzung:
- Interpretation 1: Hüfttrage mit Knoten vorne / Hüfttrage mit Schiebeknoten (v.a. für Neugeborene und junge Babys ist letztere der Anpassbarkeit wegen am optimalsten!)
- Interpretation 2: Einfache Hüfttrage im Rücken geknotet (je nach Enge evtl. an der Schulter umgeklappt)
- Interpretion 3: Hüft-Sitzschlaufe: Für mich jedoch die plausibelste („authentischste“) Trage-Variante aus Sicht der Bildbelege. Nur für ältere Babys mit guter Rumpfkontrolle (ca. ab Laufalter) zu empfehlen!!!
2.) auf dem Rücken, wobei kurioserweise das Tuch oberhalb der Arme über die Brust spannt (Fazit: Arme wären nur eingeschränkt nutzbar.
Praktische Umsetzung:
- Interpretation 1: Einfacher Rucksack (ab Geburt, dh. für Neugeborene und junge Babys mind. bis Sitzalter, besser Laufalter zu wählen!)
- Interpretation 2: „Rebozo“-Style Rückentrage mit Knoten/Schiebeknoten vorne (frühestens ab Sitzalter, nicht Strecker geeignet ;) )
- Interpretation 3: ich nenne es einfach die „Rücken-Schlinge“. Eine geknotete Schaufe verläuft mit dem Knoten auf Brustbeinhöhe über beide Schultern. Vom historischen Standpunkt für mich hier die „authentischste“ Lösung – speziell auch im Vergleich zur Tragevariante mit Gürtel weiter unten bzw. im Vergleich wie schwere Lasten (z.B. Holz) im Alltag getragen wurden – aber man auch heute noch z.B. bei Sherpas in ähnlicher Form findet!
3.) Tragen auf der Schulter mit Befestigungsschlaufe um Kinderpo & Kopf
Eine Tragevariante, welche man auch heute noch hie und da sieht, wenn Väter improvisieren. Im Prinzip wurde hier nur eine kurze Tuchschlaufe unter den Po des Kindes platziert und durch den Tuchverlauf über der Stirn des Trägers kommt ein gewisser stützender Zug, der den Träger ein wenig entlastet. Ein Runterfallen verhindert es eher weniger, also im großen und ganzen eine sehr wackelig-unsichere – wenngleich nicht ganz unangenehme – Angelegenheit, und wenn nur für ältere Kinder geeignet! (Kind bitte nie loslassen!)
Nun aber zu den Kuriosa an Tragevarianten!
Tragen in der Wiege
Eine eher wenig praktische Lösung wäre es, das Baby samt Bett zu manövrieren. Hier handelte es sich aber wohl nur um sehr kurze Strecken, um z.B. da Kind während der Feldarbeit bei sich in der Nähe zu wissen – alles andere geht dank der für die Fixierung nötigen Verrenkungen auf die Gelenke. Fazit: Sehr unbequem ;)
(Anmerkung: Beim Fotografieren kam kein Baby zu schaden – Nachahmen würden wir es aber ausser für kurze Fotoaufnahmen nicht anraten)
Tragen mit Gürtel
Diese Ausnahme im Bildmaterial war wohl eine Trageweise für laufende Kleinkinder – hierfür benötigt es eine gut aufgerichtete, kräftige Muskulatur. Ein Gürtel wurde als Schlaufe über Brustbein & Arme gespannt, am Rücken einen schmalen Sitzplatz fürs Kind bieten (vgl. auch weiter oben die Rücken-Schlaufen-Variante!). Eine vergleichbare Trageweise wird auf manchen mittelalterlichen Abbildungen u.a. auch zum Holztragen gezeigt. Nachteil ist die Tatsache, das dünne Gürtel recht rasch beim Tragling einschneiden. Potentiell ist, sofern eine „reale Szene“ im Hinterkopf des Zeichners war, hier in der Realität also ein sehr breiter Lederriemen (ca. Handbreit oder mehr) genützt worden.
Tandemtragen
Was tun bei Zwillingen? Hierfür gibt es Kiepen oder auf einer Stange befestigte Körbchen – wie letztere konkret konstruiert war, ist leider nicht erruierbar.
Fazit:
Allen Varianten zeigen einen deutlichen Gegensatz zu modernem Tragen auf: Tragen dient in erster Linie zur Fortbewegung und soll den Träger entlasten, was das Gewicht des Traglings betrifft. „Hände frei“ war dem mittelalterlichen Menschen weniger ein Bedürfnis – in der Großfamilie achteten während der Arbeit ältere Geschwister oder Ammen aufs Kind!
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