Gotik in Österreich Teil 1

18.07.2012 von Rotschopf in Geschichte, Kunst

Betrachtet man Bilder und Skulpturen des Mittelalters, so bemerkt man oft zeitlich und räumlich starke Unterschiede in der Gestaltung. Doch zu wissen, wie die Hintergründe in der Kunstentwicklung sind, bietet dem Betrachter ein noch differenziertes Bild zur Interpretation der abgebildeten Details.

Doch wie entstand eigentlich die gotische Kunst in Österreich?

Ihre Wurzeln muss man in Frankreich im architektonischen Bereich suchen, wie oft im Mittelalter. Um 1140 veranlaßt der Abt Sugerius von St. Denis den Neubau von Chor und westlicher Doppelturmanlage seiner Abteikirche. Die Bauarbeiten, in welche der neuartige Stil einfließt, werden von ihm, der auch Ratgeber des französischen Königs Ludwig VI. ist, in seinem Büchlein „Libellus de consecratione ecclesiae Sancti Dionysii“ niedergeschrieben. Sugerius teilt darin die aus der Rezeption neuplatonischer Ideen entstandene Lichtmetaphysik und christlich-neuplatonischen Schönheitslehre: Alle Dinge stellen eine Form des Lichts dar, das von Gott, dem wahren Licht ausgeht.
Der Bau von Chartres (um 1194) stellte den Siegeszug dieser Idee dar, das durch das Glas fallende Licht spielte eine entscheidende Rolle, sollte den Glanz der geheimen Offenbarung des Johannes repräsentieren. Licht und Glas verhalten sich in analoger Weise wie der allem Sein zugrunde liegende Dualismus von Materie und Geist, sie verschmelzen zur Ganzheit der Dialektik.

Anfänge der Gotik – Die „babenbergische Sondergotik“ ~ 1200-1250

Sugerius Ansatz verbreitete sich rasch und wurde besonders im 13. Jahrhundert von den Bettel- und Predigerorden der Dominikaner und Franziskaner auch in Österreich als Bauidee verbreitet.
Österreich selbst, d.h. über das Gebiet von Niederösterreich, Oberösterreich und der Steiermark herrschend, fühlte sich Ende des 12. Jh. unter Leopold VI. während seiner Regierungszeit in der Steiermark vor allem mit dem Süden des Landes, des heutigen Slowenien, verbunden. Maßgeblichen Einfluss übten dort die Zisterzienser aus, welche dem Babenberger erste Vorstellungen gotischer Bauformen französisch-burgundischer Provenienz vermittelten. Nach dem Tod seines Bruder Friedrich I. 1998 übernahm Leopold VI. die Gesamtherrschaft über Österreich und berief die Bettelorden (1224 Minoriten, 1226 Dominikaner) nach Wien, um den um sich greifenden Bewegungen der Katharer und Waldensern zu begegnen.
1202 hatte Leopold VI. auch das Zisterzienserkloster Lilienfeld (Filiation von Heiligenkreuz) gegründet, in dessen Architektur bereits erste Anzeichen frühgotischen Formenwillens sichtbar sind.
1212 beteiligte sich Leopold VI. am Kreuzzug gegen die Albigenser, in dessen Verlauf er mit der burgundischen Baukunst in Kontakt kam. Es wird vermutet, dass er zum Bau seiner Palastkapelle in Klosterneuburg französische Künstler berufen hatte.
Trotz Leopolds VI. Bemühen und seiner Beziehungen zu Frankreich, blieb die frühgotische Bauform auf die babenbergischen Gebiete Wien und Niederösterreich beschränkt, während Restösterreich in der Spätromanik verhaftet blieb Die Forschung spricht von dieser frühgotischen Form als „babenbergische Sondergotik“.

Die Reduktionsgotik  ~ 1250- 1300

Parallel zur leopoldinischen Bautätigkeit in Österreich lässt sich eine Entwicklung in Böhmen beobachten: So stammt das Prager St. Agneskloster (heute übrigens eine sehr umfangreiche und empfehlenswerte mittelalterliche Gemäldegalerie, welche in Kombination mit den Textilfunden in den Kellergewölben der Prager Burg ein MUSS beim Prag-Besuch sind!) mit seinem Einflüssen französischer Hofbaukunst aus dieser Zeit.

 

Diese wurde besonders seit der Machtübernahme Ottokars II. Mitte des 13. Jahrhundert auch in Österreich spürbar. Auch er förderte die Mendikanten und besonders Krems wurde hierbei bald das Zentrum dieser Entwicklung und Bauschule.
Trotz unterschiedlicher Geisteshaltungen und damit verbundenen unterschiedlich geprägten Kirchenraumtypen ist beiden Bettelordenskirchen das Armutsideal und der damit entsprechenden Tendenz zur Formenreduktion sowie eine völlig unfranzösische Betonung der Wandkonsistenz und lediglich aus einem Trakt bestehenden Chorlösung gemeinsam.
Zweifellos war die premsylidische Förderung der Bettelorden der entscheidenen Beweggrund für die Verbreitung frühgotischer Baukunst in Österreich!

Fortsetzung folgt


Quelle: „Geschichte der Bildenden Kunst in Österreich. Gotik. Band II“, Hrsg. Günter Brucher; Österreichische Akademie der Wissenschaften; Prestel Verlag 2000