Aristoteles und der Käse – Ein mittelalterliches Kontrazeptivum – #pluckingroses

21.11.2020 von Rotschopf in Equipment und Sachkultur, Fun, Weiberzeug

Dies ist nun mein Beitrag zur #pluckingroses challenge. Falls ihr noch einmal die Regeln der Challenge nachlesen möchtet, diese findet ihr im verlinkten Artikel. Weitere Beiträge könnt ihr zB auf Facebook und Instagram finden.

Für die Challenge habe ich ein magisches Amulett gemacht, das als Verhütungsmittel wirken soll. Ein relativ unspektakuläres Stück aber mit einer wie ich finde umso interessanteren Geschichte dahinter…

Im Jahr 1318 kam in das kleine Dörfchen Montaillou in Okzitanien der Bischof vom Pamiers, Jacques Fournier (der spätere Papst Benedikt XII), um dort herauszufinden, ob es in der Region noch Katharer gab und diese aufzustöbern und der kirchlichen Gerichtsbarkeit zuzuführen. Was er in der Gegend vorfand, war eine Gemeinschaft von Schafhirten und Bauern und allgemein recht einfach gestrickten Menschen, bei denen es gewaltig menschelte und die ihm alle möglichen alltäglichen Sünden ihres Lebens beichteten. Fournier machte detaillierte Aufzeichnungen über seine Verhöre, die uns bis heute in den Vatikanarchiven erhalten sind und die ein farbenreiches Bild dieses Dorfs und des Lebens darin im beginnenden 14. Jahrhundert zeichnen. Ich will dem Buch von Emmanuel Le Roy Ladurie dazu nicht zu weit vorgreifen, das solltet ihr nämlich meiner Meinung nach unbedingt lesen, es ist wirklich unterhaltsam und aufschlussreich!

Wie auch immer, unter den Verhörten des Dorfes war auch eine gewisse Beatrice, die wie sich im Verhör herausstellte, ein Techtelmechtel mit dem Dorfpriester Pierre unterhielt. Damit Beatrice – eine verheiratete Frau – dem aus beruflichen Gründen nicht gut zur Vaterfigur geeigneten Pierre keine unangenehmen Überraschungen bescherte, sorgte Pierre vor. Er brachte zu ihren Treffen immer ein kleines Leinenpäckchen in der Größe eines Fingerglieds an einem Bändchen mit und trug ihr auf, es sich um den Hals zu legen, so dass es zwischen den Brüsten bis nach unten zum „Eingang ihres Leibs“ hing. Dies – so meinte er – würde sie vor dem Schwangerwerden bewahren. Wenn er sie verließ, nahm er nach jedem Abend das Päckchen wieder mit. Schließlich sollte sie nicht sein Patent für andere Affären nutzen können. Neugierig hatte sie ihn gefragt, ob er in dem Säckchen jenes Kraut hätte „das die Hirten benutzen, um Milch vor dem Stocken zu bewahren“? Und Pierre hatte nur geantwortet, sie solle ihm das Denken überlassen.

 

Jetzt mag sich manch einer fragen, was das für eine merkwürdige Frage ist mit der stockenden Milch? Dazu muss ich etwas ausholen. Der griechische Denker Aristoteles schrieb in seiner De generatione animalium im 4. Jahrhundert v. Chr: „Wenn der Ausstoß der Frau im Uterus durch den Samen des Mannes fixiert wird, so tut er das gleiche, was Milch tut, wenn ihr Lab beigefügt wird. Denn Lab enthält große Hitze, welche die Milch in eine Masse verformt und sie zusammenwachsen lässt und so ist der Samen ihm ähnlich und Milch und der Ausstoß der Frau sind sich ähnlich. Wenn die festen Bestandteile zusammenwachsen und die Flüssigkeit von ihnen getrennt wird, bilden sich Membranen um diesen Kern.“

Er vergleicht also hier die Bildung eines Fötus mit dem Stocken von Milch und seine (natürlich wissenschaftlich wie wir heute wissen ziemlich fehlinterpretierten) Beobachtungen formten im Feld der mittelalterlichen Medizin einen Wissensgrundstock, der noch lange an den medizinischen Universitäten so weitergetragen wurde. Natürlich ist die Lehre davon, welche Umstände im Körper von Mann und Frau zusammenkommen müssen, damit eine Schwangerschaft eintritt, noch sehr viel umfangreicher, da dürfen beide nicht zu heiß oder zu kalt, nicht zu trocken oder zu feucht sein (im Sinne der Vier-Säfte Lehre) usw. Wer sich für genauere Ausführungen dazu interessiert, dem empfehle ich wärmstens Die Secretis Mulierum von Albertus Magnus und die Trotula.

Leider bleibt aber auch von dem, was ein Arzt damals an der Universität von z.B. Salerno lernte auf dem Weg in die Okzitanische Pampa kaum noch etwas übrig als die schlichtesten Grundzüge dieser Analogie. Nämlich „Milch zu Lab zu Käse = weiblicher Samen zu männlichem Samen zu Baby“. Und weil Beatrice in einer Gesellschaft voller Hirten aufgewachsen ist und entsprechend viel Erfahrung mit Milchwirtschaft hatte, war für sie klar, dass ein Kraut, das die Milch vor dem Stocken bewahrt, auch die Zeugung eines Babys beeinträchtigen kann. Magie, die mit Analogie funktioniert ist eine häufig zu beobachtende Idee durch unterschiedliche Kulturen der Geschichte.

Ob Pierre nun dieses ominöse Kraut, von dem Beatrice wusste, verwendet hatte und welches Kraut das ist und ob dieses tatsächlich vermochte, Milch vorm Stocken zu bewahren, darüber können wir nur spekulieren. Ich jedenfalls konnte keine Hinweise dazu finden, welches Kraut das wohl sein könnte. Für die Füllung meines Leinenpäckchens entschied ich mich also für eine Mischung aus zwei Kräutern, die beide bei im Mittelalter noch gelehrten antiken Autoren (zB bei Plinius und Galen) als Schwangerschaftsabbrechend oder Schwangerschaftsverhütend galten, Minze und Weinraute. In der christlichen Gesellschaft des Mittelalters hätte man Informationen über solche Kräuter wohl nur unter der Hand bekommen können, denn in offiziellen Werken hüten sich die Autoren meist davor, zu Abtreibung oder Schwangerschaftsverhütung Tipps zu geben.

Tatsächlich hat Minze übrigens noch immer den Ruf, Milch vor dem Stocken bewahren zu können (was ich nicht bestätigen kann) und wir wissen heute, dass Weinraute Kontraktionsfördernd ist und tatsächlich sehr gefährlich für Schwangere sein kann, bitte gebt also bei der Nutzung acht.

Diese habe ich dann in mein Leinensäckchen gepackt und es dicht vernäht.

 

Und dann an ein ledernes Bändchen gehängt. Und so sieht das dann in Action aus. Wegen der Familienfreundlichkeit hab ich hier das Unterkleid anbehalten. Ich habe die Probe aufs Exempel nicht gemacht und auch nicht vor, sie zu machen ;-) , aber ich freue mich einfach total, ein interessantes Stück mit interessanter Rahmengeschichte für meine zukünftigen Living History Performances zu haben.

 

Zum Weiterlesen:

Emmanuel Le Roy Ladurie, Montaillou – Ein Dorf vor dem Inquisitor

Sandra Ott, Aristotle among the Basques – The cheese analogy of conception

Rosalie Gilbert, The very secred Sex lives of medieval women

Helen Rodnite Lemay, Women’s Secrets