Ein Kleid für die Schwangerschaft & Stillzeit

11.01.2015 von Rotschopf in Kleidung

Wie ihr ja wisst bin ich schwanger, inzwischen sogar schon knapp einen Monat vor Entbindungstermin und entsprechend rundlich. Nun war es mehr als an der Zeit mein Stillkleid fertig zu stellen!

Als Material diente grauer Wollstoff, welcher mit naturfarbenem Leinengarn genäht wurde.

 

Quellenlage:

Die Recherche ergab im Vorfeld 4 Varianten bei der Gestaltung eines stilltauglichen Kleides, welche den Abbildungen nach durch fast alle Jahrhunderte offenbar gerne genutzt wurde, hier nur ein Teil der Abbildungen zu dem Thema:

  • Schlitz mittig im Brustbereich, von einem Fürspan gehalten: Diese Variante findet sich häufig im 13. Jh., aber auch noch 14. Jh. und kann sowohl für Rock als auch Niederwat beobachtet werden.

 

  • Seitliche Einschnitte im Bereich der Brust: Diese Variante findet sich bereits im 12. Jh., dann aber v.a. durch das ganze 14. Jh., tw. aber auch noch 15. Jh. hindurch in zahlreichen Varianten. Der Schlitz erscheint tw. sehr weit außen (z.B. in Kombination mit einem Schlupfärmelkleid, siehe die Interpretation von Tempora Nostra weiter unten), bzw. entlang einer offensichtlichen Nahtstelle im Brustbereich. Auch für das Niederwat lassen sich seitliche Öffnungen vereinzelt beobachten.
  • Tiefer Ausschnitt: ab ca. 1330/40 herum sichtbar
  • Geschnürter Brustteil: ab dem 15. Jh.

Zur Umsetzung:

Ich entschied mich für die Seitenschlitze bei meinem Stillkleid, da das Kleid langfristig auch als einfaches Arbeitskleid dienen sollte, und ich auch kein allzu modisches Kleid dafür gebrauchen konnte. Zudem käme es der mittelalterlichen Idee, alte Kleidung umzuarbeiten/lange aufzutragen entgegen, wenn ein Stillkleid in Form und Schnitt nicht nur für wenige Monate oder Jahre des Lebens genäht wird, sondern mit wenigen Stichen nach der Zeit des Kinderkriegens/Stillens weitergenutzt werden kann. Und gerade in einer Zeit, in der Frauen häufig mehrmals hintereinander fast ununterbrochen schwanger waren bzw. stillten, benötigte es ein Kleid, dass beide Phasen kombinieren konnte. Trotzdem möchte ich anmerken, dass dieses vorliegende Stillkleid eine hypothetische Interpretation von uns ist, die rein auf Bildquellen basieren kann, da spezifische Funde dazu fehlen.

Beim Schnitt orientierte ich mich an den Schnitten der Funde aus dem 14. Jh., kurz vorwiegend Herjolfnes. Zwar gibt es auch z.B. von Berwelf eine interessante Interpretation eines Stillkleides um 1300, allerdings war mir der Zuschnitt im Vergleich zum vorliegenden Fundgut doch etwas zu frei interpretiert, auch gibt es keine nachweisbaren Hinweise auf eine Gerenzusammenstellung in dieser Art.

Gabriele von Tempora Nostra hat sich ebenfalls zu dem Thema Gedanken über die Schnittführung im 13. Jh. gemacht, eine Lösung die gerade bei der im 13. Jh. beliebten Schlupfärmel-Mode Sinn macht.

Nun aber zurück zu der Variante des 14. Jh.:

Neben Vorder- und Rückenbahn finden sich bei uns somit links und rechts je 4 Seitengeren, um auch dem wachsenden Bauch- und Brustumfang ausreichend Platz zu bieten. Dabei war der Zuschnitt nicht ganz so leicht wie gedacht, da wir doch im Frühherbst noch nicht annähernd wussten wie groß mein Bauch bzw. mein Brustumfang werden würde. Gottseidank hat sich unsere Sorge, dass das Kleid zu eng wird bis dato als unnötig erwiesen.

Zu bedenken galt es aber die Tatsache, dass durch das Wachsen des Bauches das Kleid vorne immer kürzer werden würde, weshalb wir mit der Überlänge großzügig waren.

In meinen Augen wäre ein Schlitz in der Vorderbahn selbst aus zwei Gründen abwegig:

1. ästhetisch würde eine spätere Versäuberung nicht logisch sein, bzw. auch „Abnäher“ sind nicht nachweisbar für das 14. Jh..

2. würden zwei separate Schlitze in der Vorderbahn, wenn die Brustbahn evtl. schmaler geschnitten wird, unnötig werden, da die Schlitze direkt in die Naht zum Seitenteil eingefügt werden kann – was auch einer logischen Schnittführung entgegenkommt. Hier wäre es nur richtig den Stoff nicht zu knapp zu bemessen, so dass man die Brust durch verschieben der Stoffbahn auch „erreichen“ kann.

Was auch bei Abbildungen auffällt, das selten bis nie ein Hinweis auf einen Stoffüberschuss aufscheint, weshalb für mich eine Heftnaht oder wahrscheinlicher eine (innen) gesteckten Verschlussart in Frage kommt, sofern der Stoff durch die Stoffmenge nicht von selbst schließt. Hier lässt uns jedoch die Bildkunst im Dunklen tappen, da nur die Einschnitte vorne an der Brust eindeutig in ihrer Verschlussart mit Fürspan oder Schnürung erkennbar sind.

 

Das fertige Ergebnis:

Nachtrag: Praxisversuch des Stillkleides

Bildquellen:

Institut für mittelalterliche Realienkunde