Über das Forschen

01.08.2012 von Rotschopf in Literatur und Quellenrecherche, Über uns

Dieser Artikel ist mir zugegeben recht schwer gefallen in der Formulierung, weil ich ein paar Gedanken zum Thema wissenschaftliches Arbeiten verbinden wollte mit ein bisschen Einblick in unsere Arbeitsweise, ohne dass das ganze zu langweilig wird. Nun ich hoffe, es geschafft zu haben und ein paar Anregungen geben zu können.


Vorweg muss ich gleich mal sagen, dass dieser Artikel hier niemandem befehlen soll, irgend etwas zu tun, wozu er nicht bereit ist oder was er nicht für nötig erachtet. Ich fange mit einer theoretischen Aufarbeitung an und erkäre am Schluss noch einmal, warum wir genau diese Vorgehensweise für uns als wichtig und untrennbar von der Living History per se empfinden.

Wo fange ich an?
Ein Thema wissenschaftlich aufzuarbeiten ist zuerst einmal eines: langwierig.
Denn wie viele von euch vielleicht vom eigenen Studium oder der eigenen Ausbildung wissen, erfordert fundiertes Wissen immer auch fundierte Recherche und das heißt als aller erstes mal lesen, lesen und nochmal lesen.

Ernsthafte Wissenschaftler gehen immer nach dem folgenden Schema vor, es garantiert ihnen, sich nicht verzetteln zu können und möglichst klare Ergebnisse zu bekommen:

1) Wie beginnt man die Forschung?
Nun, das ist leicht beantwortet. Anfangen tut man in der Wissenschaft immer mit einer Forschungsfrage. Sie soll einfach sein und alle Antworten offen lassen, keine ja oder nein Fragen, diese nehmen oft Antworten schon vorweg. Eine gelungene Forschungsfrage könnte vielleicht so aussehen:
Welche Farbe hat der Himmel?

2) Nun werdet ihr euch vielleicht im Vorfeld schon eure eigenen Gedanken gemacht haben. Euch persönlich erscheint der Himmel blau und auch die Gesellschaft scheint sich einig zu sein, er ist blau. Aber ist er wirklich blau? Sind wir vielleicht alle farbenblind? Beeinflusst unsere kulturelle Prägung die Beurteilung der Himmelsfarbe?
Genau diese Gedanken sind wichtig, zeichnet sie auf, sie müssen anschließend bei der Beurteilung der Ergebnisse miteinfließen.
In einer tatsächlichen wissenschaftlichen Arbeit würde man daraus sogenannte „Thesen“ formulieren. Behauptungen, die noch nicht bewiesen wurden, die unseren Ausgangsstandpunkt darstellen sollen und die uns während der Recherche daran erinnern sollen, woher wir kommen und in welche Richtung wir gehen wollen.
Eine gelungene These könnte zB so aussehen:
Der Himmel ist blau.

Diese These gilt es jetzt zu beweisen oder zu widerlegen. Ihr solltet euch auch schon überlegen, wie euer Ergebnis aussehen sollte. Was wollt ihr mit der Antwort später anfangen? Das kann nämlich ebenfalls beeinflussen, wie eure Forschung verläuft. Vielleicht wollt ihr die Antwort später in ein Gemälde einfließen lassen, dann werden ein paar kunsthistorische Einblicke wichtig werden.

3) Der nächste Schritt ist, euch eine Strategie zurecht zu legen. Welche Grundlagen führen euch zu einem Ergebnis? Worauf wollt ihr eure Lösung aufbauen?
Vielleicht wollt ihr Quellen zum Thema Farbenleere heranziehen, die die Frage beantworten, was Farbe eigentlich ist, vielleicht wollt ihr welche heranziehen, die euch erklären, wie der Sehprozess des Menschen abläuft, wie er Farben wahrnimmt. Vielleicht interessiert euch, wieviele Menschen auf der Welt tatsächlich Farbsehschwächen haben, dann seid ihr im medizinischen Bereich richtig. Letztendlich werdet ihr euch auch Werke von lebenden und bereits verstorbenen Menschen ansehen, die diese Frage bereits beantwortet haben, die ihre eigenen Theorien zur Himmelsfarbe aufgestellt haben.
Klug ist es, hier immer von der absoluten Basis auszugehen und so zu tun, als hättet ihr noch nie etwas davon gehört, dass der Himmel blau ist, eure eigenen (Vor-) Urteile auszuschalten und ganz von vorne anzufangen, so macht ihr die wenigsten Fehler.

4) Dann gehts ans Eingemachte. Quellen heraussuchen.
Die Vielfalt der verschiedenen Quellen, die ihr heranzieht, macht am Ende die Genauigkeit des Ergebnisses aus.
Angenommen, ihr findet ein Buch, in dem steht, er sei blau, ein anderes, in dem steht, er sei grün. Wem kann man nun glauben? Dann findet ihr noch zwei Bücher, in denen steht, er sei grün. Würdet ihr jetzt aufhören zu suchen, wäre euer Ergebnis, dass er mehr als wahrscheinlich grün ist. Würdet ihr aber noch 20 andere Quellen finden, wäre am Ende vielleicht eine überwältigende Menge der Ergebnisse blau und ihr wüsstet, die, die sagen er ist grün, irren sich wahrscheinlich.

Ich erwähne hier Bücher, Quellen können natürlich auch anders aussehn. Kunstwerke oder Funde sind für uns die zweitwichtigsten Quellen.

Ja, aber woher weiß ich denn nun, welche Bücher ich lesen muss?“, fragt sich da der Einsteiger.
Ich behaupte es ist ganz einfach. Es ist gar nicht wichtig, womit ihr anfangt. Nehmt euch IRGEND eines, das aussieht, als würde es zum Thema gehören und fangt einfach mal an. Der entscheidende Kniff findet sich immer IM BUCH:
Egal, welches Werk ihr lest, sucht euch danach ganz hinten im Literaturverzeichnis die Werke heraus, die jeder Autor zitiert, denn er hat ja auch schon Recherche betrieben und kennt sich vielleicht in seinem Millieu schon richtig gut aus. So vergrößert ihr nicht nur die Menge der Werke, die ihr lest, sondern so kommt ihr auch immer weiter zurück, bis auf sogenannte Primärquellen. Das wären in der Geschichtsforschung zB physische Funde.
Je mehr Bücher ihr lest, desto öfter werdet ihr immer auf die gleichen Werke und Quellen stoßen, die alle heranziehen. Wenn sich diese in all euren Büchern häufen, wisst ihr, dass ihr auf dem richtigen Weg zur Lösung seid und welche Bücher ihr unbedingt noch lesen müsst!

(Hat der Autor übrigens gar kein Literaturverzeichnis, ist meist davon auszugehen, dass er nicht ernst zu nehmen ist, diese Art Bücher könnt ihr auf der Suche nach wissenschaftlichen Antworten getrost streichen.)

5) So, jetzt sitzt ihr also in einem Haufen Bücher und alle sagen verschiedene Dinge?
Ja, ab jetzt ist euer Gehirn tatsächlich gefragt. Ihr müsst jetzt die erfahrenen Fakten für euch ordnen, bewerten, interpretieren und gegeneinander aufwiegen. Welchen Schluss ihr zieht, kann euch niemand sagen. Vermutlich haben euch die meisten Bücher gesagt, der Himmel ist blau. Ihr könnt eure Forschungsfrage also beantworten.

Ja super, aber das hab ich ja vorher schon gesagt, dass er blau ist!„, werdet ihr jetzt sagen.
Aaaaber, anders als zuvor ist eure Schlussfolgerung keine reine Vermutung mehr, sondern baut sich auf harten Fakten auf, die euch in Diskusionsfall immer Rückhalt geben können und die genauer Hinterfragung stand halten.
Ich glaube, am wichtigsten ist am Ende, sich klar zu machen, was Fakt ist und was eure eigene Interpretation der Sachlage ausmacht.
Auch Nebenergebnisse sind wichtig. Vielleicht habt ihr ja gleich noch rausgefunden, dass der Himmel hin und wieder grau ist? Auch das verdient derjenige, dem ihr eure Ergebnisse später präsentiert, zu wissen.

Warum ist jetzt diese Arbeitsmethode so wichtig für unser Hobby?

Es ist ganz einfach: Das Leben im Mittelalter oder in der Antike ist alles andere als gut erforscht. Geschichtsschreibung erwähnt meistens nur große Herrscher und deren Schlachten. Wie man alltäglich gelebt hat, weiß man nicht genau. Wir glauben nur, es genau zu wissen, weil uns das Fernsehn und andere Medien Bilder zeigen von dem, was sie vermuten und nicht wissen.
Was wir in der Living History als Darsteller tun, ist zum Großteil nur Vermuten. Aber beim „Vermuten“ gibt es sehr große Spielräume, gerade bei der Geschichtsforschung.

Ein Beispiel: Trinkhörner. Es gab sie, belegt ist aber nicht, dass man sie am Gürtel getragen hat. Als Vermuter könnte man nun sagen: „Ja, aber praktisch wäre es doch und so ein Hornhalter ist doch schnell gemacht!
Korrekt. Möglich wäre es. Allerdings zeigt das folgende Beispiel, wo hier der gravierende Gedankenfehler steckt:
So sind aus unserer modernen Warte auch Maschinen eine ganz normale Sache und sie erleichtern uns die Arbeit enorm. Und wenn man weiß wie, kann man mit Leichtigkeit eine Dampfmaschine konstruieren. Alles was man braucht ist ein bisschen Metall und Geschick. Das hatte der mittelalterliche Mensch beides. Aber hatte er deshalb Züge?

Für uns ist es darum wichtig, alles, was wir tun auf solide Fakten aufzubauen und den Vermutungs-Spielraum so gering wie möglich zu halten. Denn so halten wir die Fehlerquellen auch so niedrig wie möglich.
Warum ein Trinkhorn, das auf sehr wackeligen Faktenbeinen steht, benutzen, wenn es unzählbare Funde von Holz- und Keramik-Geschirr gibt, die man verwenden kann, bis man genaueres zur Geschichte des Trinkhorns weiß?
Und vor allem informieren wir den Zuseher und Außenstehenden damit von Anfang an richtig. Die wenigsten Leute auf Veranstaltungen fragen euch, ob ihr diese Kleidung tragt, weil ihr sie schön findet, oder weil sie historisch ist, selbst wenn ihr selbst von ihr wisst, dass sie nicht historisch ist. Sie gehen mit der Einstellung zu Festen, dort etwas historisches zu sehen und nehmen das, was sie sehen auch als historisch gegeben hin. Und schon sind sie fehlinformiert.
Wir möchten, dass sie etwas lernen, wenn sie zu uns kommen und haben für uns selbst so etwas wie einen Bildungsanspruch festgesetzt, weil uns selbst Geschichte interessiert und wir auch von anderen hoffen, dass sie uns, wenn wir zu ihnen kommen, korrekte Informationen geben.

 

Quelle: FH-Prof. MMag. Dr. Anita Zehrer in ihrer Vorlesung „Wissenschaftliches Arbeiten“ Wintersemester 09/10, am MCI Innsbruck, Studiengang Unternehmensführung in Tourismus und Freizeitwirtschaft

:-)

Übrigens, begleitend empfehle ich auch noch meinen eigentlich weiterführenden aber früher entstandenen Artikel „Wer nicht fragt, der nicht gewinnt.