Regional arbeiten – Wie?
Irgendwann kommt jeder Reenactor im Laufe seiner Entwicklung zu der Frage „Welche Zeit stelle ich dar?“. Zumeist fängt er/sie mit „Mittelalter“ an, dann macht man Früh-, Hoch-, Spätmittelalter, schließlich ein Jahrhundert… und dann ein Jahr/Jahrzehnt konkret. Von dieser Jahreszahl wird schließlich versucht möglichst genau auszugehen, kleine – Jährchen werden verziehen, da sie beispielsweise gerade bis ins 13. Jh. hinein oftmals noch schwer in der Modeentwicklung zu unterscheiden sind. Erst ab dem 14. Jh. ist es spätestens unabdinglich, in kleinen Schritten zu arbeiten.
An diesem Punkt angekommen, stellt sich als nächstes auch die Frage des „Wo?“
In der Regel handelt es sich hierbei um die Heimatstadt des Darstellers, oder ein Ort, mit dem er/sie besonderes verbindet, oder die Entscheidung wird auch durch eine Sprache, die er spricht oder familiäre Abstammung (z.B. ein gebürtiger Italiener spielt, unabhängig vom Wohnsitz, glaubhaftiger einen Italiener, als einen Nordmann) gefällt.
Doch oft ist das regionale Arbeiten auch mit Hindernissen, auf den ersten Blick zumindest fehlenden Quellen, verbunden. Irgendwie sind plötzlich alle Handschriften unbrauchbar – was interessieren einen französische Quellen, wenn er/sie österreichische braucht? Oder wieso ist das Luxusgesetz zwar für die Schweiz toll, aber für Wien bestenfalls für Vergleiche interessant?
Regionale Fragen:
Frust kann dann schon einmal recht schnell aufsteigen. Doch Gottseidank gibt es in jeder größeren Ortschaft/Stadt Institutionen, die auf liebe & interessierte Anfragen selbst Laien gegenüber kompetent Auskunft geben bzw. Anfragen an die Kollegen weiterleiten, die das entsprechende Hintergrundwissen besitzen.
Für Österreich aus eigener Erfahrung als vorbildlich (und in der Beantwortung der Fragestellung auch sehr flott!) zu nennen sind beispielsweise die Stadtarchäologie Wien, das Wien Museum oder das Institut für mittelalterliche Realienkunde Krems. Auch Archive & Bezirks-/Heimatmuseen sind bisweilen sehr hilfreiche Ansprechpartner.
Bei einer Anfrage ist es sinnvoll, möglichst im Vorfeld bereits den richtigen Kontakt zu suchen: Im Falle der Wiener Stadtarchäologie wäre dies z.B. für die Antike Fr. Fischer-Ausserer; fürs Mittelalter Fr. Ingeborg Gaisbauer. Im Wien Museum finden sich auf der Website zahlreiche Kontakte zu den verschiedenen Departments. Auch ist es nie schlecht, die Hintergründe der Anfrage zu erklären, oder auch falls verfügbar, die Vereins-Website bekannt zu geben.
Bisweilen ergeben sich aus E-Mail-Anfragen auch früher oder später Einladungen in die Institutionen, abhängig natürlich von euren Fragestellungen und Präsentation. So war es uns beispielsweise dank der Kooperation des Wien Museums möglich, zwecks Rekonstruktion direkt im Depot des Museums einige Keramiken neu zu vermessen. Als Tipp: je mehr ihr auf eurer Website einen professionellen und seriösen Zugang zu Geschichte & Archäologie eurer Zeit & Region präsentiert, umso ernster werdet ihr auch genommen!
Regionale Literatur:
Viel Literatur finden sich zu Wien/Ö in der Österreichischen Nationalbibliothek (Präsenzbibliothek!) sowie dem Wiener Stadt- & Landesarchiv (Präsenzbibliothek im Gasometer!), dem Imareal (Präsenzbibliothek!) und über den Österreichischen Bibliothekenverbund. Manchmal stößt man im Zuge seiner Recherchen auch auf Literaturangaben zu Vorträgen, Zeitschriftenartikel o.ä..
Via google findet ihr wissenschaftliche Autoren oftmals mit Kontaktdaten auf Universitätsplattformen. Ein höfliches Anschreiben und ihr werdet entweder das Handout oder den Artikel digital oder falls nur so vorhanden, ggf. in Buchform erhalten.
Regionale Beiträge zur Geschichte finden sich oft auch über hiesige Universitäten, z.B. Diplomarbeiten. Für Wien/Ö werdet ihr was Bücher zu Ausgrabungen, Stadtgeschichte, Kunst, Politik u.a. betrifft z.B. hier gut fündig: Phoibos Verlag, Media Historia, Verlag Österreichische Akademie der Wissenschaften. Stadtgeschichtliche Hinweise in Form von Regesten finden sich u.a. im mom-Archiv bzw. sind über Suchmaschinen als Digitalisate zum Teil bereits online einsehbar. Auch Google Books bietet bereits das eine oder andere interessante, wenn auch meist eher ältere, Werk zur Wiener Stadtgeschichte.
Regionale Kunst & Fundgut:
Bildquellen finden sich auch für Wien zahlreich, nur muss man sie suchen. Generell heiße Tipps sind: Lokale Kunst-Führer zur entsprechenden Zeit der Darstellung, Galerien, Museen, und Kirchen! Online bietet das ImaReal sowie das ArchReal bereits erste Abhilfe! Für archäologisches Fundgut werdet ihr in lokalen Museen (auch Bezirksmuseen z.Teil!) bzw. geschichtlich ausgerichteten Museen fündig. Auch gibt es oftmals sehr gute Kataloge über oben erwähnte Verlage. (siehe auch unsere Literaturliste für Titel)
Wenn ihr all diese Möglichkeiten voll ausschöpft, werdet ihr bald sehen, dass das mit dem regional arbeiten plötzlich viel einfacher ist als gedacht und sich euch immer mehr Quellen erschließen und das Puzzle Stück für Stück zusammensetzt. Es gibt wirklich viele nette Menschen da draußen, die euch gerne weiterhelfen, wenn man sie nur nett fragt und euch das benötigte Wissen, Kontakte oder Literatur-/Linktipps in den meisten Fällen auch gratis zur Verfügung stellen. Wir finden nicht, dass regional bedeutet in seiner darstellerischen Arbeit eingeschränkt zu sein. Das Hobby wird nur spannender, weil sich der Fokus von dem Gesamteuropabild auf unbeachtete Details verlegt und ist es nicht schön, etwas zu machen, das sonst vielleicht noch niemand da draußen macht?
Deshalb sagen wir:
Mut zur Regionalität!!