Ein ärmelloses Suckl um 1320-40

10.10.2019 von Rotschopf in Kleidung

Dieses Jahr stand in Bad Windsheim bei den Mittelaltertagen wieder einmal das frühe 14. Jahrhundert als Thema an. Ich brauchte dringend noch ein warmes Überkleid gegen die Kälte in den ungeheizten Räumen der original mittelalterlichen Häusern der Baugruppe Stadt.

Also sah ich mich nach einem Modell des ärmellosen Überkleids um, das in die Zeit um 1320-40 als repräsentatives Sonntagskleid für eine eeeher einfachere Darstellung passen würde (das is ja immer so eine leidige Diskussion, was ist „einfach“, was ist „höhergestellt“, was bedeutet „Magd“ und was bedeutet „Bürgerin“, ich bin mittlerweile sehr vorsichtig geworden mit diesen Begrifflichkeiten).

Folgende Abbildungen habe ich mir dafür zum Vorbild genommen:

Hier im Cod 874 aus Waldhausen um 1325-35 sieht man enge Ärmellöcher

Bei dieser Madonna um 1330 aus Opava, Tschechien, sieht man schöne tiefe Armausschnitte, die aber noch relativ hoch sitzen und sie hat das Suckl sogar gegürtet!

In dieser Wandmalerei aus Tschechien um 1338 gibts ebenfalls enge Ausschnitte

Die Biblia Pauperum aus Wien um 1340, die auch ansonsten sehr konservativ daherkommt, bietet auch ein relativ konservatives Modell an. Interessant hier die hübschen Randeinfassungen

Speculum Humanae Salvationis aus Karlsruhe um 1340-50

Klosterneuburger Evangelienwerk um 1340

und noch einmal aus der selben Handschrift

und noch einmal

und weils so schön ist, hier sogar noch mal an den klugen und törichten Jungfrauen

In dieser Version des Speculum Humanae Salvationis aus Wien um 1330-40 sitzen die Armausschnitte schon etwas tiefer. Und auch hier bei der Abbildung von Judith. Hier sieht man auch ein tolles Streifenmuster <3

Dagegen liegen sie hier in der selben Handschrift fast schon am Arm an und ein interessantes Zier-Knopfdetail gibts noch dazu und auch hier sitzen die Armlöcher sehr eng

In der Lilienfelder Concordantiae caritatis um 1349-50 dagegen sieht man schon deutlich die tiefen Armausschnitte, hier reden wir also schon von Höllenfenstern.

 

Man sieht also schon klar die Tendenz, während sich vorher gute 20 Jahre kaum etwas tut bei ärmellosen Überkleidern, kommt mit den 40er  Jahren – wie übrigens bei sehr vielen Kleidungsbestandteilen – ein deutlicher Umbruch in die Mode rein und die Fenster werden tiefer. Ein eng geschlossenes, ärmelloses Suckl wäre also etwas für die früheren Jahrzehnte des Jahrhunderts, als konservatives Hauskleid zum Überwerfen an kalten Tagen kann es aber auch noch für etwas später verwendet werden.

Ich hatte von meinen Kollegen Regina und Martin noch einen wunderbaren indigoblauen Wollstoff übrig mit dickem Flor, den wir ursprünglich glaube ich einmal für einen Mantel vorgesehen hatten, der aber unheimlich weich und schön fällt. Natürlich ist bei so einem langen Flor ein Pilling-Effekt unter den Armen und dort, wo höhere Beanspruchung angesagt ist, immer eine Sache, aber das stört mich nicht besonders.

Der Schnitt besteht im Grunde nur aus zwei Rechtecken für vorne und hinten und zwei genauso großen Rechtecken für die Geren, die ich dann diagonal zerschnitten und wieder zusammengesetzt habe und zum Schluss werden die Ärmellöcher eingeschnitten. Für Schnittvorlagen gäbe es da zb ein ärmelloses Herrensuckl aus Herjolfsnes oder die spanischen Funde aus dem 13. Jahrhundert, die aber stilistisch dann in Teilen schon wieder sehr weit weg sind von unseren Modeentwicklungen in Österreich und nur bedingt als Vorlage dienen können. Die Pellote von Eleonore von Kastilien ist wie ich finde ein sehr schönes Schnittvorbild aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, aber auch wie gesagt, aus Spanien. Letztlich sollte der Schnitt halt hauptsächlich einmal das Ergebnis bringen, das die Abbildungen vorgeben.

 

Und so sieht das dann getragen aus (als 5. Schicht über Strophium, Leinenunterkleid und einem eng und einem lose sitzenden Woll-Rock). Die Brosche ist übrigens soweit ich weiß aus England, passt hier also nur bedingt.

(Danke, Leah Morgana Stadler für die süßen Fotos!)

Der Fall und die Silhouette gefallen mir an sich sehr gut, an den Seiten könnte es durchaus noch enger werden, vielleicht bessere ich das vor dem Füttern noch etwas nach. Das Kleid soll nämlich bis nächstes Jahr für die spätere Darstellung noch einmal etwas weiter ausgeschnitten und mit feiner Wolle oder Seide gefüttert werden. Man sieht allerdings auch wirklich weite, sehr lose fallende Modelle in den Abbildungen.

 

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