Kruseler – genäht oder doch gewebt?

18.08.2013 von Rotschopf in Kleidung, Realien

Allein schon beim Gedanken an Kruseler aus der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts leuchten die Augen einer jeden Spämi-Darstellerin! Doch spätestens wenns ans „Eingemachte“ geht, kommt die Ernüchterung. Wie geht das denn nun eigentlich wirklich?

Die kursierenden Theorien und Nachweise sind mannigfaltig, aber zugleich doch unterschiedlich genug, um gelegentlich zu verzweifeln! Die einen behaupten, Kruseler seien prinzipiell genähte Schleierformen, wieder andere – und denen schließen wir uns nun eigentlich gruppenintern mit der gesamten IG 14. Jahrhundert in Wien nach unseren Recherchen an – glauben an eine Kombination aus Webtechnik & Wickelung.

Indizien für diese Theorie gibt es zahlreiche:

(Bitte hier entlang für eine Linksammlung über Kruseler)

Bereits in den königlichen Gräbern des 12.-14. Jh. in Burgos fanden Wissenschaftler mehrere schmale Schleierüberreste, die durch eine besondere Webtechnik an den Kanten diese in zahlreichen Bildquellen ersichtliche, gekräuselte Optik der Schleierränder aufweisen. Vereinzelt wird an die angewebte Kante noch ein zusätzliches gekräuseltes Band angenäht. Eindrücklich dokumentiert werden die entsprechenden Trageweise an zahlreichen Statuen aus der Region aus dem 12. Jh.. Sie alle weisen in der Wickelung um Hals und Kopf ein deutliches Zickzackmuster auf, ähnlich wie auch die Abbildungen des 14. Jh. großteils gestaltet sind.

Auch bei diesem Fund aus Böhmen sind Webkanten das Mittel der Wahl.

Auch um die Wende zum 14. Jahrhundert tauchen in Europa erste Schleiervarianten auf, welche in der Kostümkunde als „Kruseler“ bekannt sind. Sie können ein- bis mehrlagig sein und während in den ersten Jahrzehnten noch einfache, nur an den Kanten gekruselte Schleierformen, vermutlich in der Fertigung mit den Burgosfunden vergleichbar, dominieren, entwickeln sich ab etwa 1360 herum aufwendige, mehrlagige Kruselerformen, die durch ihre aufwändige Gestaltung  natürlich alle Arten der Rekonstruktionshypothesen hervorrufen.

Mein neuer Kruseler entstand auf Basis des Glasgemäldes der Johanna von Pfirt. Man erkennt sehr gut das 4 lagige Zickzackmuster im Kopfbereich, und, wenn auch nicht so leicht erkennbar, selbiges Muster im Schulterbereich. Lange haben wir dabei überlegt ob es sich dabei um eine – wie im Netz oft kursierende – genähte Kruselerform handeln könnte, der Vergleich mit Bildquellen aus Österreich bzw. anderen Ländern aus dem 14./15. Jh. brachten uns schließlich jedoch auf die Theorie des langen Schleiers zurück.

Friesacher Madonna Kruseler

Friesacher Madonna, um 1300. Kärnten.

In Friesach findet sich als starker Ausgangspunkt aus der Zeit um 1300 herum eine Madonnenstatue, welche über ihren Kopf bis zum Boden hin ein langes Schleiertuch mit 2 deutlich erkennbaren gekräuselten Webkanten trägt. Durch diese offene Trageweise lässt sich klar erkennen, das diese Schleier offensichtlich wirklich mehrere Meter lang waren und beidseitig angewebte Kruseln besitzen, d.h. unverkennbare charakteristische Verwandtschaft mit den Burgos-Schleiern aufweisen.

Die gewebte Variante aus langen Schalähnlichen Tüchern lässt sich auch durch diese Abbildung hier belegen, in der gewebte Schleiertücher (mit eingewebten Streifen) gebleicht werden.

 

Beim Durchsehen diverser Kruselertrageweisen und Publikationen zu dem Thema stießen wir schließlich auf das Porträt der Arnolfini-Hochzeit aus dem Jahr 1434, gemalt von Jan van Eyck. Bei der darauf abgebildeten Dame, Giovanna Cenami, ist darauf sehr gut erkennbar, dass der Kruseler auf ihrem Kopf aus einem langen Stoffband, welches mehrfach gefältelt wird, besteht. Und auch vom Fall des Stoffs weist diese Variante eine starke Verwandtschaft mit dem Glasfenster der Johanna von Pfirt (Mitte 14. Jh.) auf, auf welcher man deutlich einen Stoffwulst im Halsbereich sowie eine offenbare Faltung des  Tuchs im Zoom wahrnehmen kann. Ein weiteres bestärkendes Indiz ist auch die Theorie  von Carla Tilghman, publiziert im Medieval Clothing and Textiles 1, zu besagtem Schleier. Auch sie kommt zu dem Schluss, dass es sich bei Giovannas Trageweise eher um eine Variante aus der Mitte des 14. Jh. bzw. dem späten 14. Jh., denn des 15. Jh. handelt.

 

 

 

Unser 2-Tages-Kultururlaub in Kärnten brachte weitere interessante Indizien dafür, dass Kruseler nicht genäht wurden, sondern auch in ihrer aufwendigeren Form von den Burgosfunden abgeleitet werden können. Eine Schleiertuchvariante brächte schließlich auch im Variantentum der Trageweise eindeutig erkennbare Vorteile zu einer fix genähten Form!

Beispielsweise, an der Kirche Maria Straßengel, Judendorf, gibt es zwei Frauenköpfe mit Kruselern, wohl ums 3. Viertel des 14. Jh. anzusiedeln. Während der eine scheinbar turbanartig gewickelt ist, ist die zweite Form auch durch Wickelung mit einem mehrere Meter langen und teils gefaltetem/lagenartig um den Kopf gewickeltem Schleier erreichbar (oder alternativ evtl. mit einem 2. Kruselertuch als „Rise“).

 

Komplizierter wird es bei den Kruselern um 1370-90 herum, welche im Halsbereich eine sehr enge Anliegung zeigen. Hier schließen wir einen einzigen einfach gefalteten Kruseler insofern aus, als dass die Optik nie der Bildquelle gleichkäme – wird das Tuch von Ohr zu Ohr gefältelt, würde er um die Schultern nicht entsprechend fallen, andersrum würde er seitlich ums Gesicht zu tief hängen. ABER: im gesamten Mittelalter finden sich Schleierkombinationen aus mehreren Stoffteilen, wieso also nicht auch hier? Daher wurde von uns ein wenig experimentiert. Tatsächlich wäre es möglich, aus 2 Kruselerschleiern durch geschicktes Stecken oder Heften eine Anlehnung  an die Originalquellen zustande zu bringen. Hierbei müsste einmal ein Kruselerschleier im Kopfbereich gefaltet und angelegt werden. Am besten wird dieser an einem Unterbau (Gebendestreifen ö.ä.) festgesteckt. Nimmt man ein 2. Kruselerschleiertuch (relativ lang wiederum, um auch im unteren Bereich ausreichend Kräuseln zu erhalten!), faltet dieses wieder entsprechend, legt ihn über das bereits festgesteckte erste Kruselertuch und „dreht“ die Ansätze vorne hinter dieses untere Tuch, so wäre die Optik ähnlich den aufwendigen Kruselern.  Testweise haben wir gestern versucht am Basteltreff einige Bildquellen mit Kruselervarianten nachzuwickeln – zwar nicht unbedingt perfekt, aber sie geben doch einen Eindruck wie leicht die Kruselervarianten ansich auch mit einem Schleiertuch zu erreichen sind – und alles andere als eine Nähtechnik erfordern! Nähen, bzw. mehr Heften wäre somit ansich nur insofern nötig, als dadurch ein Verziehen der Rüschenlagen verhindert werden würde, d.h. die Optik besser zur Geltung käme und nicht allzu bewegungsanfällig wäre – etwas was wir im Zuge der Testreihe nicht gemacht hatten, hier ging es uns mehr ums „Kommt es so hin?“ denn die perfekte Anlegung des Tuchs!

 

 

Natürlich gibt es – in Österreich selbst vielleicht seltener im Bildmaterial greifbar als anderswo – auch diese sogenannten „Honigwabenkruseler“. Diese passen natürlich auf den 1. Blick nicht wirklich in das Faltschema. Allerdings gibt es auch hier wieder einige Möglichkeiten, die sicher im Vergleich zu einem rein genähten Kruseler, ebenfalls logisch erscheinen. So finden sich z.B. in Burgos bei den Schleierfunden, wie eingangs bereits erwähnt, oftmals ein zusätzlich an die Webkante im Zickzack angenähter gewebter Streifen. Potentiell wäre eine Erweiterung dieser Technik auch für die Honigwabenkruseler nicht völlig abwegig. Oder aber ein mehrfach gefalteter Kruselerschleier wurde durch entsprechende Nahtstiche im Bereich der Webkanten in eine fixe Form gearbeitet. Vorteil: kein Versäumen, saubere Kanten/Nähte

Leider fehlt für diese Hypothesen jeder Art einer auf Funden basierende archäologische Basis, kurz auch unsere – für uns gut vertretbaren – Tryouts werden weiterhin  nur persönliche Interpretationen sein, aber sicher kein allgemeingültiges Patentrezept.

 

Eckdaten zum Kruselertuch:

Ausgeführt wurde die Web-Arbeit unseres Kruselertuchs in Leinen (wobei  Fundgut und Texten auch alternativ auf Seide hinweisen, was bei der Fältelung aufwendigerer Schleiervariationen  in Anbetracht der vielen Meter Stoff sicher von Vorteil ist!), von Sylvia Wiechmann. Der Stoff misst ca. 58 cm (plus Kruselerkanten mit je 1 cm) in der Breite und  ca. 3,20 m in der Länge, so dass ich ihn etwa 4 mal gut falten kann – jetzt nach dem Probewickeln von diversen Abbildungen wird jedoch klar, dass unser Kruseler von der Länge her eigentlich eher noch im unteren Bereich angesiedelt ist…der Effekt, der auch den Abbildungen entsprechend wäre was die Kräuseln im Hals und am Kopf beträfe, bräuchte wohl Schleierlängen von 4,5-5 m aufwärts! Auch etwas breitere Webkanten würden wohl – nach einer zusätzlichen Plissierung durch Fältelung und Pressen/Bügeln – einen stärkeren Zickzack-Effekt, wie auch auf den Bildquellen ersichtlich geben.

 

 

Quellen:

  • Sturtewagen, Isis: „Een gouwen rync ende een ransse“ De gerimpelde hoofddoek in het modelandschap van de Lage Landen der late middeleeuwen. Een interdisciplinaire studie.; Dissertation; 2008-2009
  • Sturtewagen, Isis:  En kruset hoveddug; Catherine de Beauchamps hovedtøj. (A Frilled Veil; The Headwear of Catherine de Beauchamp). In: Peter Vemmning (ed.),Middelaldercentrets Nyhedsblad, vinteren 2006/07, pp. 20-21. Nykøbing:Middelaltercentret.
  • Dahl, Louise: Krusekanter i 1200-tallets kvindehovedtøjer. In: Peter Vemmning (ed.),Middelaldercentrets Nyhedsblad, vinteren 2006/07, pp. 15-19. Nykøbing:Middelaltercentret.
  • Ottile Rady: Der Kruseler. In: Zeitschrift für Historische Waffen- und Kostümkunde 1923 (1).
  • Aenne Liebreich (1923): Der Kruseler im 15. Jahrhundert. In: Zeitschrift für Historische Waffen- und Kostümkunde 27. (1).
  • Petrascheck-Heim, Ingeborg (1970): Die Goldhauben und Textilien der hochmittelalterlichen Gräber von Villach-Judendorf. In: Neues als Alt-Villach
  • Hampel-Kallbrunner, Gertraud (1962): Beiträge zur Geschichte der Kleiderordnungen. Mit besonderer Berücksichtigung Österreichs. Zugl.: Wien, Univ., Diss., 1949. Wien: Geyer (Wiener Dissertationen aus dem Gebiete der Geschichte, 1).
  • Eisenbart, Liselotte Constanze (2000): Kleiderordnungen der deutschen Städte zwischen 1350 und 1700. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte des deutschen Bürgertums. Göttingen: Musterschmidt Verlag Göttingen (Göttinger Bausteine zur Geschichtswissenschaft, H. 32).
  • Sturtewagen, I. 2011, „Unveiling social fashion patterns: a case study of frilled veils in the Low Countries (1200-1500)“,  in Medieval Clothing and Textiles vol. VII, pp. 33-63.
  • Bildquellen: (C) Christina C., aufgenommen in Friesach, Maria-Straßengel, Stift St. Florian