Das gemeine/heimliche Wip – Eine Sexarbeiterin aus Wien im 14. Jahrhundert
Ach komm, einer geht noch für die #pluckingroses Challenge. :-D
Hier also ein „gemeines Weib“ (oder auch heimliches Weib) aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts.
In dieses Foto fließen unterschiedlichste Erwägungen, wieder einmal eine schöne Gelegenheit, darzulegen, was alles an Details und Recherche drin steckt in so einem Kostüm, das ihr auf einer Veranstaltung seht:
Aus den Kleiderordnungen nicht nur der Wiener, sondern auch anderer Städte, wissen wir, dass Sexarbeiterinnen oft ermahnt werden, dass Pelz, Seide und andere Kostbarkeiten an der Kleidung ihnen nicht zustehen würden, was nahe legt, dass sie wohl viel in ihre Kleidung und ihren Schmuck investierten. Das ist gut nachvollziehbar, denn nicht nur wollten sie guten Eindruck auf die Kunden machen, ein reiches Outfit war auch eine Anlagemöglichkeit für ihre Finanzen, die als Einwohnerin eines Frauenhauses wohl am sichersten nah an ihrer Person aufgehoben waren.
Daher habe ich mein „gutes Kleid“ rausgeholt mit den Seidenbelegen an den Säumen. Passenderweise ist es grün, eine Farbe, die in dieser Zeit oft symbolisch für die „vegetative“, lebendige, sprudelnde Liebe (also Erotik bzw. Sexualität) steht, was sich teils auch in Kleiderverordnungen wiederfindet, zum Beispiel werden in Augsburg Schleier mit grünen Streifen als Kennzeichnung von Sexarbeiterinnen verlangt.
So ein Kleid wäre normalerweise mit seiner Doppelfärbung und den Metallknöpfen zumindest etwas für eine Frau eines bessergestellten Handwerkers. Aber so eines könnte Agnes auch in einem gut laufenden Jahr second Hand gekauft haben, der Saum ist vielleicht schon abgetreten, der Schnitt unmodisch, die Farbe ausgewaschen, so hat es die ursprüngliche Besitzerin weggegeben und ein moderneres gekauft. Ein Investment ist es aber trotzdem noch.
Einen silbernen Ring und ein seidenes Haarband mit Korallenperlen nennt Agnes ebenfalls stolz ihr Eigen. Eher kleine Ausgaben für eine Frau der Zeit, aber welche, die sich im Notfall schnell zu ein bisschen Geld machen lassen. Ein Gürtel könnte hier ebenfalls eine gute Anlage darstellen. Da verfüge ich aber über keinen in der passenden Einkommensklasse. Wir wissen, dass Gürtel oft bei Pfandleihern aufgegeben wurden, dass sie gekauft und verkauft und vererbt wurden und wegen ihrem Format und ihrer Praktikabilität oft als Wertanlage galten.
Sie hat geflochtenes, aber offen präsentiertes Haar und keinen Schleier auf, was für eine Frau in ihrem Alter schon sehr ungewöhnlich wäre, für Sexarbeiterinnen allerdings mancherorts gängige Praxis ist. Immer wieder werden ihnen in Kleiderordnungen Hauben und Schleier oder bestimmte Hauben und Kopfbedeckungsformen untersagt (nicht immer und nicht überall). In manchen Orten gibt es sogar eine Art ungeschriebenes Übereinkommen unter den Bewohnern, dass es unredlich ist, wenn sich eine Sexarbeiterin als „anständige Frau“ ausgibt, indem sie einen Schleier trägt und sie soll entweder öffentlich bloßgestellt oder ihr der Schleier abgerissen werden. Und sogar unter anderen Männern und Frauen galt das öffentliche Herunterreissen von Kopfbedeckung als Entehrung. Hier gilt der Schleier also als Standeszeichen der ehrenwerten, verheirateten Frau, der einer Sexarbeiterin nicht zusteht. Und mit dem sozialen Status ist eben im Mittelalter oft eine ganzen Menge an Privilegien verbunden, die es zu hüten gilt.
Auch ein Merkmal, das typisch ist für Sexarbeiterinnen: Sie trägt Makeup. Dass dies schon im Mittelalter mit Sexarbeit und unehrlichen Frauen verbunden wird, zeigen uns Moralpredigten und Belletristik der Zeit. Wenn ihr mehr zur praktischen Umsetzung des Makeups wissen möchtet, verweise ich auf meinen ausführlichen Artikel dazu. Und an dieser Stelle möchte ich auch noch einmal auf unser tolles Video zum Thema hinweisen.
Was sie aber eindeutig als Sexarbeiterin auszeichnet ist hier das in der Kleiderordnung vorgeschriebene gelbe Tüchlein „an der Achsel“ (was damals den ganzen Schulterbereich meint). Es soll einen Spann (also ca 15 cm) lang und breit sein und ich habe mich entschlossen, es auf mein Kleid aufzunähen, weil das einfach am besten sichtbar und praktisch ist. So kann Agnes auch schon aus der Ferne eindeutig identifiziert werden.
Dass eine Sexarbeiterin im 14. Jahrhundert dieses Tüchlein getragen hätte, ist zugegeben eine eher wackelige Hypothese. Da die Wiener Kleiderordnung von 1380 verschollen ist und uns leider nur einzelne Verordnungen für bestimmte Gruppen erhalten sind, bleibt uns in Bezug auf die Kennzeichnungspflicht von Sexarbeiterinnen im Wien des 14. Jahrhunderts nur die Kleiderordnung aus Wien, die leider ebenfalls undatiert ist, von der aber eine Abschrift von ca. 1450 vorliegt, was auch zu den in der Verordnung genannten Kleidungsstücken passen würde.
Manchmal finden sich bestimmte Verbote immer und immer wieder in Verordnungen, ob aber die hier vorgegebenen Regelungen auf frühere Zeiten übertragbar sind, ist fraglich.
Und zum Abschluss möchte ich für alle, die das an dieser Stelle immer noch nicht wissen, auch noch mal auf diesen Artikel der Sorores Historiae hinweisen, der über den Mythos gelbes Kleid aufklärt. Bitte…. belästigt andere Darstellerinnen nicht sexuell, indem ihr sie mit nem dummen Spruch auf ihr gelbes Kleid ansprecht. Nicht nur ist das sexistisch und whorephobisch, es zeigt auch noch, dass ihr euch geschichtlich nicht auskennt.
Zum Weiterlesen:
Dame Venus. Prostitution im Mittelalter, Jacques Rossiaud
Das Frauenhaus – Städtische Bordelle in Deutschland 1350-1600, Peter Schuster
Geschichte der Kleiderordnungen mit besonderer Berücksichtigung Österreichs, Gertrude Hampl-Kallbrunner
Die österreichische Mode im 14. Jahrhundert nach den Gedichten Heinrichs des Teichners, Auguste Otto
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