Ein Seidengürtel

06.01.2022 von Rotschopf in Kleidung, Rekonstruktionen, Textilverarbeitung

Moment, ihr seid hier ja gar nicht auf dem Blog meines IG14 Kollegen Niklas, der Girdler! Nein, diesmal gibts auch mal hier einen ausführlichen Bericht, auch wenn natürlich Nikolaus wieder großen Anteil an diesem tollen Teil hat.

Meine Darstellung der Frau eines wohlhabenderen Handwerkers/Bürgers wird langsam, ganz langsam endlich Realität. Ein großes Projekt, das ich lange, lange aufgeschoben und an dem ich lange, lange gewerkelt hatte, ist nun endlich fertig. Ein Gürtel, der dieser Garderobe angemessen ist.

Zunächst einmal etwas zur Theorie. Hier finden sich unterschiedliche Originalfunde von Gürteln. Wer spätmittelalterliche Gürtel nachmachen möchte, sollte aber auf jeden Fall den Erfurter Schatzfund, den Wiener Neustädter Schatzfund und den Colmarer Schatzfund einmal durchgeschaut haben. Gerade in letzterem findet sich dieses hübsche Exemplar hier, das mir ein großes Vorbild war.

Bezüglich der Länge habe ich mich sowohl an den Originalen, als auch einigen Abbildungen orientiert. Letzteres war übrigens gar nicht mal so einfach wie gedacht, weil die meisten Frauen mit Suckl abgebildet werden, das den Gürtel verdeckt.

Hier sieht man zB in der Biblia Pauperum von 1330-40 ein schönes Beispiel

Hier ein schönes Beispiel mit doppelt gewickeltem Gürtel von 1370 aus der Slowakei

oder zB hier im Codex Manesse und noch mal

Hier sieht man viele Gürtel an Grabbildern

Dieses Beispiel hier aus Spanien um 1330-40 ist zwar weit weg, aber hat schon ne deutliche Länge

In der Pfarrkirche Thunau am Kamp findet sich dieses schöne Beispiel aus den 1330ern.

Und hier noch ein schönes Beispiel aus Frankreich mit lockerem Schwung.

Und auch eine Textquelle gibt es dazu aus dem 14. Jahrhundert, da beschwert sich nämlich der Wahlwiener Heinrich von Langenstein „Under ander menschlicher zierd, die verpoten ist, sind beslagen gürtel riemein oder seidein besunderleich zu meiden und zu straffen … item man pint ein sakch der gutz getrait vol ist mit einem striklein daz man umb ein helbling chauft. Davon ist ein grosse torhait daz manzu dem sack des leibs der vol unsauberhait ist gen seidene riemeine gürtel sicht die mit gold oder silber geslagen sind.“

Und Heinrich von Neustadt schreibt um ca 1312: „„Ir gurtel den sie umb drug, er waz kosper und kluͦg, Von liehter varwe manigfalt als der regenboge gestalt.““

In den Neidhart Liedern heißt es: „An leget sie das rocklein also palde, das was gelegen in kleinem mangem valte, ir gurtell was ein porten smal.“

 

Zur Umsetzung: Ich hatte also 120 versilberte Beschläge schon Anfang 2019 bei Lorifactor bestellt, das konkrete Motiv ist nach einem Fund aus London, allerdings sind Blümchenmotive relativ häufig in Funden und Abbildungen der Zeit. Dazu habe ich einen entsprechenden Purse hanger und eine ziemlich durchschnittliche Schnalle gewählt (zum Weiterlesen über Schnallenformen und Beschläge der Zeit empfehlen sich die hier erwähnte Werke)

Während der relativ langen Wartezeit, machte ich mir Gedanken darüber, welches Material der Gürtel sein sollte. Ich wollte 2,5 Meter Riemen, weil mein Körperumfang doch etwas voluminöser ist und ich aber auf jeden Fall mindestens Bodenlänge erreichen wollte, eventuell sogar noch multiple Schwünge um die Taille schaffen wollte, weil man das doch immer wieder sieht in Abbildungen. Ca 1,5 cm sollte er breit sei maximal. Und eigentlich ist in dieser Einkommensklasse ein schöner Seidengürtel schon ganz passend, nur konnte ich mir nicht leisten, ihn machen zu lassen.

Also entschloss ich schweren Herzens, dass ich mir wohl selbst einen Seidengürtel würde weben müssen. Ich habe dafür Indigo gefärbtes Seidengarn von Marled Mader bestellt und Silvia Ungerechts hat mir die nötigen Tipps gegeben, damit die Borte auch wirklich so wird wie in den Erfurter Schatzfunden, wo eine interessante Technik für die Herstellung der Gürtel vorgestellt wurde, die mit 6-eckigen Brettchen und Doppelschuss arbeitet. Das Weben dieser Struktur hat mich echt verdammt viel Zeit gekostet, was ich tatsächlich nicht erwartet hatte nach meiner Erfahrung mit anderen Webarbeiten. Gesamt habe ich wohl um die 30 Arbeitsstunden nur in die Webarbeit gesteckt.

Als nächstes habe ich dann die Beschläge im 2 cm-Abstand in einigen Arbeitsstunden auf den Gürtel aufgehämmert. Das wollte ich unbedingt selbst machen und nach einigen Startschwierigkeiten, bei denen mir von Profis zur Seite gestanden wurde (Danke Nikolaus und Christian!), hatte ich endlich den Dreh raus und es ging wirklich gut von der Hand.

Bei Riemenende und Schnalle habe ich aber dann doch den Profi Nikolaus drangelassen, der sich dann für mich extra abgemüht hat und mir nach meinem Wunsch auch noch das Silber Gürtelblech graviert hat mit „Amor Vincit Omnia (AVO)“ auf einer Seite und meinem Hund Socke auf der anderen (natürlich im Stil einer mittelalterlichen Abbildung). Amor Vincit Omnia ist ein sehr bekanntes mittelalterliches Sprüchlein, das auf Vergil zurück geht und bedeutet „Die Liebe besiegt alles“ (oder wie es im Original von Vergil korrekter heißt „Alles besiegt die Liebe“) und wird als Ganzes oder als Abkürzung sehr oft auf spätmittelalterlichen Schmuck und Minnegegenständen vorgefunden. Der Hund ist dagegen ein bekanntes Mittelalterliches Sinnbild für Treue und Freundschaft.

An der Seite vorne ist dann noch der Purse-Hanger (Beutelaufhänger) in einer simplen 4-Pass Form, auch sehr typisch für die Zeit.

Gefüttert habe ich ihn übrigens nicht und ich bin auch unsicher, ob ich das jemals machen werde. Es gibt nämlich auch einige Funde ohne Fütterung und die gehören auch dringend repräsentiert in der Szene.

Und so sieht das also dann im Ganzen aus. Ich bin wirklich stolz und zufrieden mit dem Resultat. Getragen will ich das Ganze auch noch zeigen, der Gürtel reicht bei einmaligem Schwung um die Taille ganz bis zum Boden und das macht mich wirklich unheimlich happy <3
Allerdings muss das noch warten, bis der Rest der Klamotte fix und fertig ist (nicht mehr lang, nicht mehr lang…).

 

 

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