Ein weißes Seidenband-Haarnetz

17.06.2024 von Rotschopf in Filetknüpfen/Netzen, Rekonstruktionen, Textilverarbeitung

Ein neues Projekt ist fertig!

Das Original:

 

Das originale Stück liegt im Kunstpalast Düsseldorf, welcher davon annehmbare Fotos aber leider keine sehr detaillierte Beschreibung vorlegt. Ein paar spärliche Informationen gibt auch der Ausstellungskatalog der LWL Ausstellung „Aufruhr 1225!“  sowie der diesem Katalog zugrunde liegende Artikel „Zwei gotische Frauenhaarnetze“ von Elfriede Heinemeyer. Auch hier wurde leider das Netz nicht sehr ausführlich besprochen oder auch nur gut beschrieben. Erwähnt werden weiße Seidenbänder als Material, auf den Kreuzungspunkten waren ehemals blaue, runde oder mehreckige (hier widersprechen sich die Beschreibungen, womöglich waren die Blättchen rund gedacht, aber halt schlampig ausgeschnitten) Pergamentblättchen angebracht. Machart oder Breite der Bänder sind nicht angegeben. Wer vermisst schon archäologische Fundstücke? Einzig der Durchmesser ist mit 26 cm angegeben. Das würde bei einer halbkugeligen Form einen Umfang von ca. 52 cm bedeuten. Kommt ungefähr hin auf einen sehr kleinen Kopf.

Datiert ist das Stück auf die zweite Hälfte 14. Jahrhundert. Leider gibt es keine Informationen, auf welcher Basis diese Datierung gemacht wurde, der Stil ist jedenfalls auch nicht schlecht passend für das beginnende 16. Jahrhundert. Aber sei’s drum, wir nehmen das jetzt einfach als Fakt, bis jemand widerspricht.

Ergänzend dazu sind natürlich Vergleiche aus Illuminationen und anderen erhaltenen Originalen nie schlecht, bevor man so etwas angeht.

 

Die Rekonstruktion/Interpretation: 

Als Material hatte ich wirklich schönes, weißes Seidenband erstanden, das auch die passende Webart aufwies. Als Breite habe ich 3 mm gewählt.

Ich hatte bereits diese Interpretation hier von Knots in a Net gesehen, die sich auch ihre Freiheiten nimmt (no shade, ich bin ein großer Fan von Ilta und ihrer fantastischen Arbeit!). Was mich daran grübeln ließ, ist die zur Krone hin abnehmende Maschengröße der Löcher, während die Lochgröße beim Original bei allen Löchern gleich zu sein scheint. Und nach diversen Wickelversuchen bin ich dann zu dem Schluss gekommen, dass das Netz nicht auf einer Halbkugel, sondern in der Fläche (mit einer gut versteckten Naht) oder in Form eines Zylinders gewickelt worden sein muss und dann an der Krone zusammengefasst wurde. Ich konnte keine Anzeichen auf eine Naht finden, also entwarf ich eine Rolle aus Decken, die meinen Kopfumfang hatte und in die ich Nadeln stecken konnte und probierte herum, bis ich mit der Wickelung zufrieden war. Meine Version hat aufgrund meines deutlich größeren Kopfes + Frisur natürlich auch deutlich mehr Kreuzungspunkte als das Original, aber ich wollte es ja auch tragen können.

Danach habe ich erst einmal die Kreuzungspunkte mit Nadeln gesichert und die Schlaufen für die Krone am oberen Rand zusammengenäht mit weißem Seidenfaden.

Danach war das Pergament dran. Mit Eitempera habe ich eine größere Fläche von Pergament blau bemalt und dann zu kleinen Vielecken geschnitten. Diese habe ich dann durchlocht und auf die Kreuzungspunkte aufgenäht. Über 300 Blättchen habe ich hierbei aufgebracht. Das dauerte seine Zeit.

 

Und ich gebe es zu, es war ganz okay, aber mir fehlte noch so ein bisschen….oomph. Und da kam dann ein bisschen freie Interpretation von mir herein :-D

Also habe ich einige der Kreuzungspunkte ausgelassen für dekorative Blümchen. Diese Blümchen oder bunte Punkte in Rautenmuster Schemen findet man auch echt öfter in Illuminationen. Die Blumen habe ich aus Pergament geschnitten in Vierpass-Form, was als Formelement sehr populär ist im Spätmittelalter. Dann habe ich sie vergoldet (mit aus Budgetgründen unechtem Blattgold, das leider auch nicht so toll glänzt wie echtes) und aufgenäht.

Damit war ich dann tatsächlich sehr zufrieden! Die goldenen Blümchen leuchten schön und die Größe der Löcher direkt an der Krone sind tatsächlich wie beim Original!

(Hier hatte das Netz noch ein lose durchgefädeltes Basisband, danach habe ich es angenäht, um das Netz sicher tragen zu können.)

Und so sieht das ganze dann mit passender Frisur darunter an mir aus.

Fazit: Klappt so wie beim Original, sieht cuter aus, als ich erwartet habe, ist wirklich fragil, wenn man nicht will, dass die Farbe oder das Gold abbröselt. Und das ist ne Scheiß-Arbeit, mach ich nicht mehr (braucht noch jemand weißes Seidenband? :-D).

 

 

Zum Weiterlesen

„Zwei gotische Frauenhaarnetze“, Heinemeyer, Elfriede. (1966) – In: Waffen- und Kostümkunde vol. 8 (1966) p. 13-22

Ritter, Burgen und Intrigen – Aufruhr 1225! : das Mittelalter an Rhein und Ruhr ; Ausstellung im LWL-Museum für Archäologie, Westfälisches Landesmuseum Herne, 27. Februar bis 28. November 2010

https://knotsinanet.wordpress.com/2021/04/28/14th-century-silk-ribbon-hairnet/ 

 

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