Das Strophium

29.08.2018 von Rotschopf in Kleidung, Weiberzeug

Trigger-Alert: In diesem Beitrag wird es wieder um allerlei Brüste gehen. Vor allem meine. Ihr werdet sie (unter der Kleidung) sehen und ich hab da kein Problem damit. Und ich habe vor, mir kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Also seid gefasst und benehmt euch bitte wie Erwachsene.

Ich hatte euch ja neulich schon das stützende Unterkleid meiner Kollegin Viki in einem kleinen Gastbeitrag vorgestellt. Darin hatte ich ja bereits erzählt, dass der jüngste Beleg für ein stützendes Unterkleid soweit mir bekannt aus den 1350er Jahren stammt.

Nun gab es ja auch vor dieser Zeit bereits Menschen mit großen Brüsten und ab einer gewissen Größe und vor allem wenn die Schwerkraft mit den Jahren und nach diversen Schwangerschaften und Stillperioden irgendwann zuschlägt (was sie unweigerlich irgendwann tut, machen wir uns nichts vor), dann kann das schon zu einigen Unannehmlichkeiten führen. Hängende, sich frei bewegende, unfixierte und schwere Brüste können von Brust- über Rückenschmerzen bis hin zu Hautirritationen oder gar Ausschlägen oder offenen Stellen unter den Brüsten führen. Eine Fixierung kann einer Frau mit solchen Brüsten also eine deutliche Erleichterung bringen, von ästhetischen Aspekten mal ganz abgesehen.

Schriftquellen, die Isis Sturtewagen hier aufgelistet hat, sprechen vor der Mitte des 14. Jahrhunderts von Brustbandagen, die die Brüste fixieren und stützen können. Und in diesem Artikel von Beatrix Nutz finden sich noch mehr Quellen dazu.

Diese Bandagen nennen sich in der römischen Antike, wo sie in zahlreichen Bildern und Statuen auftauchen, „Strophium“. Daher werde ich dieses Wort auch für meine Erklärungen nutzen.

Nun bin ich ja in der glücklichen Lage, dass ich schon auf stützende Unterkleider zurück greifen könnte in meiner Darstellung und dass meine Anfang-30er-kinderlosen D-E Körbchen zwar wie alle Brüste dieser Größe etwas tiefer hängen als bei Pornodarstellerinnen, aber sie sind nicht unangenehm tief und verursachen mir keine Schmerzen, wenn ich keinen BH trage. Ich muss mich also nur ein bisschen um die ästhetischen Fragen kümmern. Und da ist das Ideal meiner Zeit nun mal klein, fest und getrennt, wie ich im Artikel zum Unterkleid schon erwähnte und für die Arbeit ist es schon auch praktischer, ein bisschen Halt zu haben.

Ich habe mich also für 3 Tage über die Bachrittertage dem Experiment gestellt und wollte nur mit einem Strophium auskommen. Ich hatte mir vorher diverse Versuche von anderen Darstellerinnen angesehen und ihre Techniken ausprobiert.

Ich hatte schon ein paar mal versucht, die Zwillinge zu bandagieren, bin aber immer gescheitert – an der falschen Größe der Bandage, wie ich heute weiß. Eher dünner Stoff, viel Länge und eher schmale Breite sind ideal.

Meine Bandage hat 3 Meter Länge und 35 cm Breite (damit komme ich genau 4 mal rum). Sie ist auf allen Seiten versäumt, aber ich glaube nicht, dass das einen Unterschied macht.

Ich fange auf der von mir aus rechten Seite an zu wickeln, gehe 1 mal fest horizontal über die Brüste und ein zweites Mal eher im unteren Bereich horizontal herum und versuche dabei, sie so gut wie möglich nach oben zu drücken, dann einmal von unten über die rechte Brust und dann oberhalb der linken Brust, dann über den Rücken und noch mal oberhalb der rechten Brust und über die linke Brust. Dieses Kreuz trägt den Hauptteil des „Push-Effekts“ (der in Wirklichkeit so gut wie nicht vorhanden ist). Den Rest stecke ich auf dem Rücken unter den Wickel. Dann stecke ich das Material direkt unter der Brust noch unter die Brüste, das festigt alles noch mal und hilft gegen dort entstehenden Schweiß. Danach kann man wenn nötig die Brüste in der Bandage noch mal etwas arrangieren.

Irgendwie sieht hier die linke Brust tiefer aus, das war in Wirklichkeit nicht so tragisch. Ich stehe wohl krumm.

Ich hatte mehrere Wickelvarianten versucht, aber mein Fazit lautet: Stützen und Hochpushen kann man ohne Träger schlicht und einfach abschreiben. Was man erreichen kann ist eine gewisse Stütze, aber hauptsächlich eine Fixierung und ein Flachdrücken.

Auf diesen Fotos hier sieht man mein Brüste in einem modernen Minimizer BH ohne Cups aber mit Underwire.

   

Und das hier sind sie morgens, nachdem ich sie gewickelt hatte, einmal im einfachen Kleid, einmal im schicken Kleid, jeweils mit ärmellosem Unterkleid im Stil der Burg Ranis als Zwischenlage. Ich hatte je einen Tag in beiden verbracht und einen Tag ganz ohne zum Vergleich des Komforts.

 

Den unleidlichen Ausdruck im Gesicht bitte ich zu entschuldigen, alle Fotos hier stammen von einer Zeit am Morgen nach dem Anziehn und bevor ich Kaffee hatte. Und das ist nie eine gute Zeit.

Ich finde sehr interessant, wie sich dabei die Silhouette des enganliegenden schicken Kleids verändert hat im Vergleich zum Foto mit BH. Und ehrlich gesagt gefällt sie mir sogar viel besser als mit BH.

So vom Tragekomfort her fand ich das Strophium sehr gut. Der erste halbe Tag war komisch, weil ich mich erst gewöhnen musste und so kurz nach Mittag musste ich noch mal wickeln, weil ich einerseits die Technik noch perfektionieren musste und andererseits das Leinen noch etwas nachgegeben hat, was es nach der letzten Wäsche immer wird. Dann saßen sie aber super und besonders im schicken Kleid, wo ich durch die Enge noch zusätzlichen Support hatte, hatte ich nichts zu befürchten.

Ich habe darin gesessen und gestanden, gekocht und Sachen herumgeräumt und es war an sich kein Problem. Bei schwerer körperlicher Arbeit glaube ich allerdings nicht, dass man einen ganzen Tag ohne neuerliches Wickeln durchkommt.

Wichtig ist meiner Meinung nach, dass ihr wirklich versucht, im Stehen zu wickeln, faltenfrei zu wickeln und nach jeder Runde die Ränder arrangiert, so dass sie angenehm liegen, dass ihr auch auf dem Rücken die Bandagen möglichst in ihrer ganzen Breite nutzt und dass ihr nur so eng wickelt, wie es sich noch angenehm anfühlt (Bitte nicht zu fest wickeln, das ist nicht nur unangenehm, sondern kann auch echte Schäden verursachen! Wenn ihr Druckstellen bekommt oder Schmerzen auftauchen, sofort abnehmen!).

Ich bin also momentan schwer überzeugt von meinem Strophium und werde noch weitere Veranstaltungen damit arbeiten, um mehr Erfahrungen zu schöpfen.

 

Zum Weiterlesen: 

Ein stützendes Unterkleid der 1350er

Meine Pinterest Sammlung zum Thema (mit mehreren verlinkten Artikeln hinter den Fotos)

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